Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge
beraubt, Beweise so zu präsentieren, wie ich sie präsentieren möchte. Die Aussage dieser Zeugin ist für die Verteidigung vernichtend. Er will diese Punkte nur unstreitig stellen, um ihre Wirkung auf die Geschworenen abzuschwächen. Außerdem muss einer Unstreitigkeitsstellung von beiden Parteien zugestimmt werden. Es war ein Fehler von mir, die Unstreitigkeitsstellung für den Hammer zu akzeptieren, aber diesmal werde ich das nicht tun. Nicht bei den Schuhen. Der Staat legt dagegen Einspruch ein.«
Der Richter blieb eisern. Er sah eine Einsparung von mindestens einem halben Tag Prozesszeit und war nicht bereit, sie sich wieder nehmen zu lassen.
»Frau Staatsanwältin, Sie wissen, dass das Gericht Ihren Einspruch aus Gründen juristischer Ökonomie ablehnen kann. Was ich aber lieber nicht tun würde.«
Damit gab er ihr zu verstehen, sich in diesem Punkt nicht gegen ihn zu stellen und die Unstreitigkeitsstellung zu akzeptieren.
»So leid es mir tut, Euer Ehren, aber der Staat legt dennoch Einspruch ein.«
»Abgelehnt. Sie können an Ihre Plätze zurückkehren.«
Und so ging es dann weiter. Wie im Fall des Hammers unterrichtete der Richter die Geschworenen auch diesmal wieder über die Unstreitigkeitsstellung und sicherte ihnen zu, dass sie bis zum Beginn der Beratungen ein Dokument erhalten würden, in dem die unstreitig gestellten Beweise und Fakten aufgeführt würden. Ich hatte das Crescendo der Falldarstellung der Anklage erfolgreich zum Verstummen gebracht. Statt mit Pauken und Trompeten und mit Beweisen, die geradezu schrien »Sie war’s!«, verabschiedete sich die Anklage mit einem kläglichen Winseln. Freeman war außer sich. Sie wusste, wie wichtig die Belohnung für die langsam aufgebaute Steigerung war. Man hörte sich nicht zehn Minuten lang den Boléro an, um dann zwei Minuten vor dem Ende abzubrechen.
Nicht nur, dass sie die Verstümmelung ihrer Falldarstellung empfindlich schmerzte, hatte sie auch noch ihre letzte und wichtigste Zeugin zur ersten Zeugin der Verteidigung gemacht. Mit der Unstreitigkeitsstellung hatte ich den Eindruck erweckt, als seien die Ergebnisse der DNA-Analyse die Grundbausteine meiner Verteidigungstheorie. Und es gab nichts, was Freeman dagegen tun konnte. Sie hatte alles, was für die Anklage sprach, bereits vorgestellt, und jetzt war nichts mehr übrig. Nachdem sie Stanley aus dem Zeugenstand entlassen hatte, setzte sie sich an den Tisch der Anklage, blätterte in ihren Notizen und überlegte wahrscheinlich, ob sie Kurlen oder Longstreth noch einmal in den Zeugenstand rufen sollte, um ihre Falldarstellung mit einer Zusammenfassung sämtlicher Beweise seitens eines Detectives zum Abschluss zu bringen. Aber das war nicht ohne Risiken. Bei ihrem ersten Auftritt hatte sie ihre Zeugenaussage mit ihnen einstudiert. Diesmal nicht.
»Ms. Freeman?«, fragte der Richter schließlich. »Haben Sie noch einen Zeugen?«
Freeman schaute zur Geschworenenbank. Sie musste daran glauben, dass sie den Schuldspruch bereits in der Tasche hatte. Was machte es da schon aus, wenn die Beweise nicht so vorgestellt wurden, wie sie es geplant hatte? Die Beweise waren trotzdem da und zu Protokoll genommen. Das Blut des Opfers am Hammer und an den Schuhen der Angeklagten. Das war mehr als genug. Sie hatte den Schuldspruch in der Tasche.
Ohne den Blick von den Geschworenen abzuwenden, stand sie langsam auf. Dann wandte sie sich dem Richter zu.
»Euer Ehren, das Volk hat dem nichts mehr hinzuzufügen.«
Es war ein feierlicher Moment, und wieder wurde es vollkommen still im Saal, diesmal fast eine ganze Minute lang.
»Nun denn«, sagte der Richter schließlich. »Ich glaube, niemand von uns hat erwartet, dass wir schon so früh an diesen Punkt kommen würden. Mr. Haller, sind Sie bereit, mit der Falldarstellung der Verteidigung fortzufahren?«
Ich stand auf.
»Euer Ehren, die Verteidigung ist bereit, fortzufahren.«
Der Richter nickte. Er schien immer noch ein wenig konsterniert über die Entscheidung der Verteidigung, das Blut des Opfers auf den Schuhen der Angeklagten als Beweis anzuerkennen und zu akzeptieren.
»Dann werden wir etwas früher in die Nachmittagspause gehen«, verkündete er. »Und wenn wir wieder zusammentreten, ist die Verteidigung an der Reihe, den Fall aus ihrer Sicht darzustellen.«
Teil 4
Der fünfte Zeuge
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W ar die Taktik der Verteidigung schon in der Endphase der Falldarstellung der Anklage unorthodox gewesen, tat auch ihr erstes Manöver, als sie selbst an
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