Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge
schriftlichen Unterlagen und internen Aktennotizen zu gewähren, die sich im Besitz von WestLand Financial befanden. Im zweiten Antrag verlangten wir von der Anklage, der Verteidigung Trammels Laptop und Handy sowie sämtliche persönlichen Dokumente, die bei der Hausdurchsuchung konfisziert worden waren, zugänglich zu machen.
Da Morales bestimmt bestrebt war, Verteidigung und Anklage gleich zu behandeln, plante ich, den Richter zu einem salomonischen Urteil zu drängen. Das Baby zu teilen. Die Anträge auf Unterdrückung der Beweise abzulehnen, aber der Verteidigung zu der in den beiden anderen Schriftsätzen geforderten Akteneinsicht zu verhelfen.
Natürlich waren Morales und Freeman nicht so blauäugig, um diesen Trick nicht zu durchschauen. Aber dass sie wussten, was ich damit bezweckte, hieß nicht, dass sie etwas dagegen tun konnten. Außerdem hatte ich für alle Fälle noch einen sechsten Schriftsatz als Ass im Ärmel.
Morales ließ Freeman zehn Tage Zeit, um auf die Anträge zu reagieren, und erklärte die Verhandlung für beendet, um zum nächsten Fall übergehen zu können. Ein guter Richter sorgt immer dafür, dass ein Verfahren zügig vorangeht. Ich wandte mich Lisa Trammel zu und bat sie, auf dem Flur auf mich zu warten, weil ich noch mit der Staatsanwältin sprechen müsse. Ich sah, dass Dahl an der Schranke auf sie wartete. Er war bestimmt hocherfreut, sie aus dem Saal begleiten zu dürfen. Ich beschloss, ihn mir später vorzuknöpfen, und ging zum Tisch der Anklage. Freeman schrieb mit gesenktem Kopf auf einem Block.
»Hallo, Andy?«
Sie schaute zu mir auf. In der Erwartung, einen Freund zu sehen, der sie Andy nannte, hatte sie bereits zu lächeln begonnen. Als sie sah, dass ich es war, verflog ihr Lächeln schlagartig. Ich legte ihr den sechsten Schriftsatz auf den Tisch.
»Werfen Sie da bei Gelegenheit mal einen Blick rein. Ich werde den Antrag morgen einreichen. Wollte das Gericht heute nur nicht mit noch mehr Papier überschwemmen. Aber morgen früh ist es bestimmt okay. Und da es Sie betrifft, wollte ich Sie schon vorab informieren.«
»Mich? Wie das?«
Ich antwortete nicht. Ich drehte mich um und ging durch die Schranke und aus dem Saal. Als ich durch die Doppeltür auf den Flur hinaustrat, sah ich meine Klientin und Herb Dahl bereits vor einem tief gestaffelten Halbkreis aus Reportern und Kameras Hof halten. Ich ging von hinten rasch auf Lisa zu, nahm sie am Arm und zog sie mitten im Satz fort.
»D-d-d-das wär’s, Leute!«, sagte ich in meinem besten Schweinchen-Dick-Ton.
Lisa leistete zwar Widerstand, aber ich schaffte es trotzdem, sie von der Journalistenmeute loszueisen und den Flur hinunterzuführen.
»Was soll das?«, schimpfte sie. »Sie blamieren mich!«
»Ich Sie blamieren? Wenn, dann blamieren Sie sich mit diesem Typen selbst. Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen ihn wegschicken. Und jetzt sehen Sie sich nur mal an, aufgedonnert wie ein Filmstar. Das ist ein Prozess, Lisa, nicht Entertainment Tonight. «
»Ich habe ihnen nur meine Geschichte erzählt.«
Als wir weit genug von den Journalisten entfernt waren, um nicht mehr belauscht werden zu können, blieb ich stehen.
»Lisa, Sie können nicht einfach ganz offen mit den Medien reden. Das kann jederzeit auf Sie zurückfallen.«
»Was denken Sie sich eigentlich? Das war eine tolle Gelegenheit, die Dinge aus meiner Sicht zu schildern. Ich werde hier vorverurteilt, und deshalb wird es langsam Zeit, die Dinge richtigzustellen. Ich habe Ihnen doch erklärt, nur die Schuldigen sagen nichts.«
»Das Problem ist, dass die Staatsanwaltschaft eine Medienabteilung hat, und dort kopieren und zeichnen sie jede Meldung auf, die in Presse und Fernsehen über Sie erscheint. Sie haben von jedem Wort, das Sie sagen, eine Kopie. Und wenn unter Ihren Statements eines ist, das auch nur im Geringsten von Ihren anderen Darstellungen abweicht, sind Sie dran. Damit machen sie Sie beim Prozess fertig. Was ich damit sagen will, ist nur: Es ist das Risiko nicht wert, Lisa. Sie sollten es mir überlassen, für Sie zu sprechen. Und wenn Sie sich dazu nicht in der Lage sehen und Ihre Geschichte unbedingt selbst erzählen wollen, dann bereiten wir das vor und üben es mit Ihnen ein und plazieren ein paar gezielte Medienauftritte.«
»Aber genau dafür ist doch Herb da. Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich …«
»Lassen Sie es mich Ihnen noch mal erklären, Lisa. Herb Dahl ist nicht Ihr Anwalt und hat in dieser Sache nicht die bestmögliche
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