Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge

ihnen die Bank leiht – zurückzuzahlen. Das nennt man eine Hypothek. Wenn das also in Ordnung geht, kaufen sie das Haus und zahlen die Hypothek über Jahre hinweg in monatlichen Raten ab. Verstehst du das so weit?«
    »Heißt das, sie zahlen an die Bank Miete?«
    »Gewissermaßen. Wenn man allerdings an einen Hausbesitzer Miete zahlt, gehört einem das Haus hinterher nicht. Wenn man dagegen eine Hypothek abzahlt, gehört es einem hinterher. Und ein Eigenheim ist nun mal ein wichtiger Bestandteil des amerikanischen Traums.«
    »Gehört dir dein Haus?«
    »Ja. Und Mom gehört ihres auch.«
    Sie nickte, aber ich war mir nicht sicher, ob wir uns auf einer für eine Vierzehnjährige verständlichen Ebene unterhielten. Für sie war nicht viel vom amerikanischen Traum darin zu erkennen, dass ihre Eltern separate Hypotheken auf ihre separaten Häuser abbezahlten.
    »Okay, und deshalb hat man es den Leuten vor ein paar Jahren leichter gemacht, ein Haus zu kaufen. Und irgendwann bekam praktisch jeder, der zu einer Bank oder einem Hypothekenmakler ging, ein Darlehen für den Kauf eines Hauses. Dabei wurde allerdings viel getrickst und gemogelt, und es bekamen viele Leute ein Darlehen, die keines hätten bekommen dürfen. Manche Leute logen, um ein Darlehen zu bekommen, und manchmal waren es auch die Darlehensgeber, die logen. Jetzt geht es hier allerdings um Millionen von Darlehen, Hay, und wenn etwas einmal solche Ausmaße annimmt, gibt es nicht genügend Leute oder Bestimmungen, um alles zu regeln.«
    »War es denn so, dass niemand das Geld eingefordert hat?«
    »Zum Teil, aber hauptsächlich lag es daran, dass sich die Leute mehr zumuteten, als sie bewältigen konnten. Außerdem änderten sich die Zinsen auf diese Darlehen. Die Zinsen legen fest, wie viel ein Hausbesitzer jeden Monat an den Kreditgeber zahlen muss, und sie sind zum Teil sehr stark gestiegen. Manche haben mit ihrer Bank auch eine sogenannte Ballontilgung vereinbart, bei der man nach Ablauf von fünf Jahren das ganze Geld zurückzahlen muss. Um die lange und komplizierte Geschichte kurz zu machen: Mit der Wirtschaft des Landes ging es bergab, und damit sank auch der Wert von Immobilien. Das artete zu einer gewaltigen Krise aus, weil Millionen Menschen die Häuser, die sie gekauft hatten, nicht mehr bezahlen konnten. Und weil sie weniger wert waren als die Belastung, die auf ihnen lag, konnten sie sie auch nicht einfach verkaufen. Die Banken, die anderen Geldgeber und die Investmentkartelle, die die ganzen Hypotheken aufgekauft hatten, kümmerte das aber nicht groß. Sie wollten bloß ihr Geld zurück. Deshalb nahmen sie den Leuten einfach die Häuser weg, wenn sie nicht mehr zahlen konnten.«
    »Und diese Leute kommen jetzt zu dir.«
    »Einige von ihnen. Im Moment gibt es Millionen solcher Zwangsversteigerungen. Die Geldgeber wollen alle ihr Geld zurück, und deshalb greifen manche zu unerlaubten Maßnahmen, und andere bezahlen Leute dafür, unerlaubte Maßnahmen zu ergreifen. Sie lügen und betrügen und nehmen den Leuten ihre Häuser weg, ohne sich dabei an Recht und Gesetz zu halten. Und das ist der Punkt, an dem ich ins Spiel komme.«
    Ich sah sie an. Wahrscheinlich hörte sie mir schon nicht mehr richtig zu. Ich zog den zweiten Aktenstapel zu mir heran und öffnete den obersten Ordner. Ich las, während ich fortfuhr:
    »Hier haben wir so einen Fall. Diese Familie hat vor sechs Jahren ein Haus gekauft, und die Monatsrate betrug neunhundert Dollar. Zwei Jahre später, als die ganze Scheiße los…«
    »Dad!«
    »Entschuldige. Zwei Jahre später, als in diesem Land einiges schiefzulaufen begann, gingen die Zinsen rauf, und sie mussten jeden Monat mehr zahlen. Gleichzeitig verlor der Mann seinen Job als Schulbusfahrer, weil er einen Unfall hatte. Darauf gingen der Mann und die Frau zur Bank und sagten: ›Also, wir haben gerade finanzielle Probleme. Können wir vielleicht unsere Tilgungskonditionen ändern, damit wir das Haus weiterhin abbezahlen können?‹ Das nennt man Umschuldung, und es ist an sich keine große Sache. Was diese Leute getan haben, war also vollkommen richtig, aber die Bank hat ihnen was vorgemacht und ihnen gesagt: ›Ja, wir arbeiten weiter mit euch zusammen. Ihr zahlt weiter so viel ab, wie ihr könnt, während wir uns Gedanken über eine gangbare Lösung machen.‹ Also zahlten sie, so viel sie konnten, aber das war nicht genug. Sie warteten und warteten, aber die Bank meldete sich nicht bei ihnen. Zumindest nicht, bis sie eines