Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge
Karriere zu zerstören, und kannst darüber lachen.«
»Ich habe nicht damit gedroht, ihre Karriere zu zerstören. Ich habe ihr gedroht, sie von dem Fall abziehen zu lassen. Und ich finde das auch nicht komisch. Es ist nur, dass …«
»Ja, Haller? Was? Ich habe zwei Stunden da draußen gesessen und mich gefragt, ob du irgendwann auftauchen wirst, weil ich wissen will, wie du so etwas tun konntest.«
Ich löste mich vom Tisch und ging in die Offensive. Ich ging beim Sprechen auf sie zu und drängte sie in eine Ecke, und als ich zum Schluss auf sie deutete, war mein Finger nur wenige Zentimeter von ihrer Brust entfernt.
»Ich habe es getan, weil ich Strafverteidiger bin und als Strafverteidiger einen Eid geleistet habe, meine Mandanten nach bestem Wissen und Gewissen zu verteidigen. Deshalb – ja, ich habe hier einen Vorteil gesehen. Deine gute Freundin Andy – und du – ihr seid eindeutig zu weit gegangen. Klar, soweit ich das beurteilen kann, ist dadurch niemand zu Schaden gekommen. Aber das heißt nicht, dass ihr nicht zu weit gegangen seid. Wenn du über einen Zaun mit einem Schild BETRETEN VERBOTEN kletterst, begehst du in jedem Fall Hausfriedensbruch, selbst wenn du sofort wieder zurückkletterst. Und nun habe ich diese Übertretung mitbekommen und habe mir dieses Wissen zunutze gemacht, um etwas zu bekommen, was ich für die Verteidigung meiner Mandantin brauche. Etwas, das ich eigentlich längst hätte bekommen sollen, wenn es mir deine Freundin aus keinem anderen Grund, als dass sie es sich erlauben konnte, nicht vorenthalten hätte.
Hat sie sich dabei im Rahmen des Erlaubten bewegt? Ja. War es fair? Nein. Und ein Grund, warum ihr euch so aufregt, ist, dass ihr wisst, dass es nicht fair war und dass ich das Richtige getan habe. Es ist etwas, was du genauso getan hättest.«
»Nie im Leben. So tief würde ich nie sinken.«
»Ach, erzähl mir doch nichts.«
Ich wandte mich von ihr ab. Sie blieb in der Ecke.
»Was willst du hier, Maggie?«
»Was soll das jetzt wieder? Ich habe dir doch gerade gesagt, warum ich hergekommen bin.«
»Schon, aber du hättest auch zum Telefon greifen können oder mir eine Mail schicken. Warum bist du hergekommen?«
»Ich wollte dein Gesicht sehen, wenn du mir eine Erklärung dafür gibst.«
Ich drehte mich wieder zu ihr um. Das Ganze war ein Nebenkriegsschauplatz. Ich rückte wieder gegen sie vor und legte meine Hand neben ihrem Kopf an die Wand.
»Genau solche bescheuerten Streitereien waren es, die unsere Ehe zerstört haben«, sagte ich.
»Ich weiß.«
»Weißt du, dass das jetzt schon acht Jahre her ist? Wir sind genauso lange geschieden, wie wir verheiratet waren.«
Acht Jahre, und ich wollte sie immer noch schütteln.
»Acht Jahre, und da sind wir jetzt.«
»Ja, da sind wir jetzt.«
»Du weißt doch, dass du der Hausfriedensbrecher bist, Haller. Du kletterst bei allen über die Zäune. Du kommst in unser Leben und gehst wieder, wie es dir passt. Und wir lassen dich einfach.«
Langsam beugte ich mich so weit vor, bis wir dieselbe Luft atmeten. Ich küsste sie behutsam und dann fester, als sie etwas zu sagen versuchte. Ich wollte keine Worte mehr hören. Ich hatte die Nase voll von Worten.
Teil 2
Die Unschuldshypothese
11
D ie Kanzlei war bereits geschlossen und die Tür abgesperrt, aber ich saß immer noch an meinem Schreibtisch und bereitete mich auf die Vorverhandlung vor. Es war ein Dienstag Anfang März, und ich hätte gern ein Fenster geöffnet, um die kühle Abendluft hereinzulassen. Aber weil sich die Fenster nicht öffnen ließen, war das Büro wie hermetisch abgedichtet. Darauf hatte Lorna nicht geachtet, als sie sich die Räumlichkeiten angesehen und den Mietvertrag unterschrieben hatte. Das hatte zur Folge, dass ich meiner mobilen Kanzlei auf dem Rücksitz des Lincoln nachtrauerte, in der ich das Fenster nach unten fahren und frische Luft hereinlassen konnte, wann immer ich wollte.
Die Vorverhandlung war in einer Woche. Meine Vorbereitungen bestanden darin, dass ich zu antizipieren versuchte, was meine Gegenspielerin Andrea Freeman preisgeben würde, wenn sie dem Richter den Fall aus ihrer Sicht darstellte.
Die Vorverhandlung ist eine Routinemaßnahme auf dem Weg zu einem Prozess. Sie ist eine Veranstaltung, die zu einhundert Prozent von der Anklage bestritten wird. Der Staatsanwalt ist verpflichtet, dem Gericht seine Argumente vorzulegen, und dann entscheidet der Richter, ob die Beweise ausreichen, den Fall vor einem Schwurgericht
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