Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge
Tasche.
»Ein schönes Wochenende, Rojas.«
»Ihnen auch, Boss.«
»Vielleicht sollten Sie lieber aufhören, mich Boss zu nennen.«
»Okay, Boss.«
»Sehen Sie.«
Ich drehte den Schlüssel und drückte die Tür auf. Im selben Moment wurde ich von einem abrupten und vielstimmigen Ruf begrüßt. »Überraschung!«
Einmal hatte ich einen Bauchschuss bekommen, als ich diese Tür öffnete. Die heutige Überraschung war wesentlich erfreulicher. Meine Tochter stürmte auf mich zu und umarmte mich, und ich umarmte sie. Ich schaute mich um, und es waren alle da: Cisco, Lorna, Bullocks. Mein Halbbruder Harry Bosch und seine Tochter Maddie. Und Maggie war auch da. Sie kam an Hayleys Seite und küsste mich auf die Wange.
»Leider muss ich euch aber enttäuschen«, sagte ich. »Heute ist gar nicht mein Geburtstag. Ich fürchte, ihr seid jemandem auf den Leim gegangen, der unbedingt zu einem Kuchen kommen wollte.«
Maggie knuffte mich gegen die Schulter.
»Du hast am Montag Geburtstag. Aber das ist kein guter Tag für eine Überraschungsparty.«
»Was mir sehr entgegengekommen wäre.«
»Jetzt mach schon endlich Platz und lass Rojas rein. Außerdem wird niemand lange bleiben. Wir wollten dir nur zum Geburtstag gratulieren.«
Ich beugte mich vor und küsste sie auf die Wange und flüsterte ihr ins Ohr: »Und du? Willst du auch nicht länger bleiben?«
»Warte einfach ab.«
Sie führte mich durch eine Menge Händeschütteln, Küssen und Schulterklopfen nach drinnen. Es war rührend und vollkommen unerwartet. Ich wurde auf den Ehrenplatz gesetzt und bekam eine Limonade gereicht.
Die kleine Feier dauerte eine Stunde, und ich hatte genügend Zeit, um mit allen meinen Gästen zu sprechen. Harry Bosch hatte ich schon mehrere Monate nicht mehr gesehen. Ich hatte gehört, dass er mich im Krankenhaus besuchen gekommen war, aber ich war nicht wach gewesen. Wir hatten im vergangenen Jahr gemeinsam an einem Fall gearbeitet, bei dem ich als Sonderankläger aufgetreten war. Es war schön gewesen, auf derselben Seite zu stehen wie er, und ich hatte gehofft, dass uns diese Erfahrung einander näherbrächte. Aber dem war nicht so gewesen. Bosch blieb so distanziert wie eh und je, und ich blieb deswegen so traurig wie eh und je.
Als sich eine Gelegenheit bot, ging ich zu ihm, und wir standen nebeneinander an dem Fenster, von dem man den besten Blick auf die Stadt hatte.
»Aus diesem Blickwinkel ist es schwer, sie nicht zu mögen«, sagte er.
Ich wandte den Kopf von der Aussicht zu ihm und dann wieder zurück. Auch er trank eine Limonade. Er hatte mir erzählt, dass er keinen Alkohol mehr trank, seit seine halbwüchsige Tochter bei ihm lebte.
»Ich weiß, was du meinst«, sagte ich.
Er leerte sein Glas und dankte mir für die Party. Ich sagte ihm, er könne Maddie bei uns lassen, wenn sie Lust hätte, Hayley länger zu besuchen. Aber er sagte, er wolle sie am Morgen auf den Schießstand mitnehmen.
»Auf den Schießstand? Du nimmst deine Tochter auf den Schießstand mit?«
»Ich habe Schusswaffen zu Hause. Sie sollte wissen, wie man damit umgeht.«
Ich zuckte mit den Achseln. Wahrscheinlich entbehrte es nicht einer gewissen Logik.
Bosch und seine Tochter gingen als Erste, und wenig später war die Party zu Ende. Alle außer Maggie und Hayley gingen. Die beiden hatten beschlossen, über Nacht zu bleiben.
Vom Tag und der Woche und dem Monat erschöpft, nahm ich eine lange Dusche und ging danach früh zu Bett. Wenig später kam Maggie herein. Sie hatte noch Hayley in ihrem Zimmer in den Schlaf gequatscht. Sie schloss die Tür, und das war der Moment, in dem ich wusste, dass mein richtiges Geburtstagsgeschenk erst noch käme.
Sie hatte kein Nachthemd mitgebracht. Ich lag auf dem Rücken und beobachtete, wie sie sich auszog und dann zu mir unter die Decke schlüpfte.
»Du bist mir vielleicht einer, Haller«, hauchte sie.
»Was habe ich jetzt schon wieder angestellt?«
»So was von übergriffig habe ich selten gesehen.«
Sie rutschte an mich heran, dann auf mich, hob den Kopf und breitete ein Zelt aus Haaren um mein Gesicht. Sie küsste mich und begann, langsam ihre Hüften zu bewegen, dann drückte sie ihre Lippen an mein Ohr.
»So«, sagte sie. »Funktionstauglichkeit wiederhergestellt, sagen die Ärzte, richtig?«
»Haben sie gesagt.«
»Dann lass uns mal sehen.«
Teil 3
Boléro
18
L ouis Opparizio war jemand, der sich nicht vorladen lassen wollte. Als Anwalt wusste er, dass er nur in den Lisa-Trammel-Prozess
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