Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge
hineingezogen werden konnte, wenn er per gerichtlicher Vorladung aufgefordert wurde, als Zeuge auszusagen. Wenn ihm die Vorladung nicht zugestellt wurde, brauchte er auch nicht vor Gericht zu erscheinen. Sei es nun, dass ihn jemand vor dem Vorhaben der Verteidigung gewarnt hatte oder dass er schlau genug war, selbst darauf zu kommen – er verschwand genau zu dem Zeitpunkt, als wir nach ihm zu suchen begannen. Sein Aufenthaltsort war plötzlich nicht mehr bekannt, und alle altbewährten Tricks, ihn aufzuspüren und aus seinem Bau zu locken, schlugen fehl. Wir wussten nicht, ob Opparizio noch in den Staaten war, geschweige denn in Los Angeles.
Bei seinem Vorhaben, unterzutauchen, hatte Opparizio etwas, was von Vorteil für ihn war. Geld. Mit genügend Geld kann man sich vor jedem auf der Welt verstecken, und Opparizio wusste das. Er besaß in mehreren Bundesstaaten mehrere Häuser und, um jede dieser Anlaufstellen möglichst schnell erreichen zu können, einen umfangreichen Fuhrpark und sogar einen Privatjet. Wenn er unterwegs war, egal, ob von Bundesstaat zu Bundesstaat oder von seiner Beverly-Hills-Villa zu seinem Beverly-Hills-Büro, reiste er im Schutz einer Phalanx von Sicherheitskräften.
Er hatte aber auch etwas, was von Nachteil für ihn war. Geld. Wegen des beachtlichen Vermögens, das er angehäuft hatte, indem er für Banken und andere Kreditgeber die Drecksarbeit übernahm, hatte er auch eine Achillesferse. Er hatte sich den erlesenen Geschmack und die Ansprüche der Superreichen angeeignet.
Und deshalb gelang es uns schließlich, ihn zu packen.
Im Zuge seiner Bemühungen, Opparizio ausfindig zu machen, hatte Cisco Wojciechowski eine enorme Menge an Informationen über den Gesuchten zusammengetragen. Anhand dieser Erkenntnisse stellten wir ihm eine sorgfältig geplante und perfekt umgesetzte Falle. Anlässlich der – fingierten – verdeckten Versteigerung eines Gemäldes von Aldo Tinto wurde eine aufwendige Präsentationsmappe an Opparizios Büro in Beverly Hills geschickt. Darin hieß es, Kaufinteressenten könnten sich das Bild zwei Tage später ab neunzehn Uhr zwei Stunden lang im Studio Z in der Bergamot Station in Santa Monica ansehen. Danach würden bis Mitternacht die Gebote entgegengenommen.
Die Präsentationsmappe wirkte absolut seriös und professionell. Die Abbildung des Gemäldes stammte aus einem Online-Katalog für Privatsammlungen. Aus einem zwei Jahre alten Profil Opparizios in einer Juristenzeitschrift wussten wir, dass er etwas unbekanntere Maler sammelte und ein ganz besonderes Faible für den italienischen Meister Tinto entwickelt hatte. Als ein Mann unter der auf der Broschüre angegeben Telefonnummer anrief, sich als Repräsentant Louis Opparizios zu erkennen gab und einen Termin für die Besichtigung des Gemäldes vereinbarte, hatten wir ihn am Haken.
Pünktlich zum vereinbarten Termin kam die Opparizio-Entourage in die ehemalige Red-Car-Trambahnstation, die in einen exklusiven Galerienkomplex umgewandelt worden war. Während sich drei sonnenbebrillte Security-Männer über die ganze Anlage verteilten, sahen sich zwei weitere in der Gallery Z um, bevor sie Entwarnung gaben. Erst dann stieg Opparizio aus dem Stretch-Mercedes.
In der Galerie wurde Opparizio von zwei Frauen empfangen, die ihn mit ihrem Lächeln und ihrer Begeisterung für die Kunst und das Bild, das er gleich sehen würde, entwaffneten. Eine von ihnen reichte ihm zur Feier des großen Moments eine Champagnerflöte mit Roederer Cristal. Die andere gab ihm einen dicken Packen Dokumente zur Herkunft und Ausstellungshistorie des Gemäldes. Weil er in einer Hand das Champagnerglas hielt, konnte er die Dokumente nicht durchblättern. Man sagte ihm, er könne alles später lesen, weil er sich das Gemälde ansehen müsse, bevor der nächste Interessent an die Reihe käme. Er wurde in das Besichtigungszimmer geführt, wo eine prunkvolle Staffelei mit dem von einem Satinüberwurf verdeckten Bild stand. Ein einsamer Spot beleuchtete die Mitte des Raums. Die Frauen sagten Opparizio, er könne den Überwurf selbst abnehmen, und eine von ihnen nahm ihm das Champagnerglas ab. Sie trug lange Handschuhe.
Aufgeregt hob Opparizio die Hand und trat vor, um das Satintuch behutsam abzuziehen. Dahinter war die Vorladung an die Staffelei geheftet. Verdutzt beugte er sich vor, um sie sich genauer anzusehen. Vielleicht glaubte er immer noch, das Werk des italienischen Meisters vor sich zu haben.
»Sie haben die Vorladung zugestellt
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