MicrDolly - 07 - Dolly hat Heimweh nach der Burg
möchte ich auch darauf verzichten, euer eigenmächtiges Verhalten zu bestrafen. Sagen wir: Ich setze die Strafe aus. Ich gebe euch beiden die Chance, zu zeigen, was in euch steckt. Aber jetzt schnell ins Bett, es ist spät geworden. Morgen darfst du Ingrid in der Krankenstation besuchen.“
Irmgard bedankte sich überschwenglich bei Fräulein Pott. Was immer ihr an Streichen noch einfallen sollte, in diesem Augenblick war sie mit guten Vorsätzen versehen.
Die Mädchen im Schlafsaal der vierten Klasse warteten aufgeregt.
„Endlich!“ stöhnte Johanna. „Ich bin fast gestorben vor Angst, dir könne etwas zugestoßen sein! Hast du die Uhr?“
„Nein, es war schon zu dunkel, ich konnte nichts mehr sehen.“
„Aber warum kommst du dann so spät?“
„Ich habe mich noch mit Fräulein Pott unterhalten.“
„Mit Pöttchen? Um diese Zeit? Worüber um Himmels willen? Hat sie dir den Kopf gewaschen, weil du ohne zu fragen weggelaufen bist?“
„Es ging.“
„Jetzt rede doch schon! Was war los? Wo steckt Ingrid übrigens? Hast du sie gesehen? Wenn sie nicht bald kommt, muß ich es der Hausmutter melden!“
„Das brauchst du nicht zu tun. Ingrid hatte einen Unfall, sie ist in der Krankenabteilung.“
„Waaas? Ja wieso denn? Wie ist das passiert?“
„Weiß ich auch nicht“, sagte Irmgard gähnend. „Gute Nacht. Ich bin todmüde.“
Ingrids Bein war gebrochen. Ein paar Tage mußte sie in der Krankenstation bleiben, weil sie außerdem eine heftige Erkältung hatte. Irmgard besuchte sie jeden Tag, ging mit ihr die Aufgaben durch, spielte oder unterhielt sich mit ihr.
Es zeigte sich, daß die Leseratte Ingrid viel mehr wußte, als man zunächst bei ihr vermutete. Nur durch ihre störrische Art gewann man den Eindruck, daß sie uninteressiert und oberflächlich sei.
Irmgard und Ingrid wurden dicke Freundinnen. Und die Freude darüber, eine richtige Freundin zu haben, veränderte Ingrid vollkommen. Niemand hätte das freundliche und fröhliche Mädchen in ihr vermutet, das sie nun war.
Die vierte Klasse wußte nichts von den Vorfällen an jenem Abend und zerbrach sich den Kopf darüber, warum Irmgard plötzlich so ein auffallendes Interesse für Ingrid zeigte. Und als Ingrid nach einigen Tagen mit einem Gehgips wieder in der Klasse erschien und es offensichtlich war, daß sie und Irmgard Freundinnen geworden waren, war das Erstaunen noch größer.
Irmgard hatte sich ihre Uhr inzwischen aus der Scheune geholt, und Ingrid hatte ihre Mutter in einem Brief gebeten, für das fleckig gewordene Lederband ein neues schickes Uhrarmband zu besorgen, das auch bald darauf eintraf.
Aber auch Fräulein Wagner hatte allen Grund erstaunt zu sein, denn Ingrid arbeitete neuerdings mit wahrer Leidenschaft im Unterricht mit und hatte sich ganz offensichtlich zum Ziel gesetzt, eine echte „Möwenfelserin“ zu werden.
Wirklich, eine so mustergültige Vierte habe ich lange nicht mehr gehabt! dachte Fräulein Wagner. Ich muß einmal darüber nachdenken, wie ich der Klasse eine Freude machen kann.
Und ein paar Tage später, als sie ihre Kollegin Fräulein Peters im Möwennest besuchte, kam ihr ein guter Gedanke. „Die jungen Mädchen, die den Hauswirtschaftskurs besuchen und Kochen lernen, könnten doch einmal eine Party für meine Klasse ausrichten!“ sagte sie zu Fräulein Peters. „Wäre das nicht möglich? Das ist eine gute Übung und sie können zeigen, was sie gelernt haben. Und meinen Mädchen würde es großen Spaß machen.“
„Ich bin sicher, daß sich das einrichten läßt. Ich werde gleich heute nachmittag mit Fräulein Flamm sprechen“, sagte Fräulein Peters. „Ich denke da an eine Strand-Party unterhalb der Klippen ein Stück südlich der Burg, wo die kleine Bucht ist. Unsere Mädchen könnten ein Feuer am Strand machen und Fleisch oder Fische grillen. Dazu ein paar Salate, Gebäck und Limonade – es wäre mal etwas Neues für die Mädchen der Burg, und ich könnte mir vorstellen, daß andere Klassen ihrem Beispiel folgen und den ,Party-Dienst’ der Koch-Klasse vom Möwennest in Anspruch nehmen.“ Die beiden Lehrerinnen hatten soviel Freude an dem Plan, daß sie gleich darauf gemeinsam zu Fräulein Flamm gingen und alle Einzelheiten besprachen. Ein Telefongespräch mit Frau Greiling erbrachte ihnen die endgültige Zustimmung zu ihrem Vorhaben. Auch die Direktorin war begeistert von dem Gedanken, diese Art von Partys zu einer festen Einrichtung werden zu lassen, damit die Mädchen beider Schulen Gelegenheit hätten,
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