MicrDolly - 07 - Dolly hat Heimweh nach der Burg
zwischen ihr und Irmgard lag. Bald hatte sie Irmgard überholt und konnte von ihr nicht mehr gesehen werden.
Atemlos kam sie an der alten Scheune an und versteckte sich. Es dauerte nicht lange, da erschien Irmgard. Sie durchsuchte aufmerksam den Platz, auf dem sie beim Picknick gesessen hatte. Als sie nichts fand, hörte Ingrid sie wütend und verzweifelt aufschluchzen.
Irmgard richtete sich auf und sah unschlüssig zur Scheune hinüber. Dann gab sie sich einen Ruck und ging zur Tür. Ingrid drückte sich dicht an der Wand entlang näher. Jetzt mußte alles blitzschnell gehen. Irmgard öffnete die Tür weit und sah ins Dunkel. Da – dort blitzte etwas! Irmgard betrat zaghaft die dunkle Scheune. Krach! Hinter ihr flog die Tür zu. Irmgard hörte, wie der Riegel vorgeschoben wurde und sich eilige Schritte entfernten. Ihr blieb fast das Herz stehen vor Schreck. Wer konnte ihr einen solchen Streich spielen?
Jungen aus dem Dorf, die sie beobachtet hatten? Ein Landstreicher, den sie von seinen Platz verjagt hatte, ohne es zu merken? Ein Dieb, der nicht erkannt werden wollte?
Irmgard lauschte ins Dunkel. Dann tastete sie sich zur Tür und rief durch den Spalt um Hilfe. Aber bald sah sie ein, daß hier kein Mensch sie hören würde. Sie mußte sich aus ihrer mißlichen Lage selbst befreien. Tapfer versuchte sie, Ekel und Angst zu überwinden. Irmgard sah sich um. Dort an der Wand gegenüber fiel fahles Licht von draußen herein, dort schien ein Brett lose herabzuhängen. Mit zusammengebissenen Zähnen watete Irmgard durch den Kuhmist zu der Stelle hinüber. Das lose Brett gab nach und ließ sich leicht herausbrechen. Aber das so entstandene Loch in der Wand war noch viel zu klein, um durchzukriechen. Sie mußte es vergrößern.
Was sollte sie tun? Wenn man an den Brettern rüttelte, gaben sie zwar leicht nach, rührten sich aber nicht von der Stelle. Hebelwirkung! dachte Irmgard. Ich muß sie herauszudrücken versuchen! Sie nahm das Brett, das sie gerade herausgebrochen hatte und setzte es unterhalb des nächsten an. Es knirschte und splitterte. Die Nägel begannen sich zu lockern.
Während Irmgard über ihren Bemühungen, sich aus der unfreiwilligen Gefangenschaft zu befreien alle Angst vergaß, lief Ingrid so schnell sie konnte zur Burg zurück. Plötzlich sprang eine dunkle Gestalt hinter einem Busch hervor und stellte sich ihr in den Weg.
„Wohin denn so schnell, mein Fräuleinchen“, lallte der finster aussehende Kerl und griff nach ihr. Ingrid schrie auf und riß sich los. Wie von Furien gehetzt lief sie quer über das Feld vor dem Betrunkenen davon, der gröhlend hinter ihr her lachte. Inzwischen war es fast dunkel geworden, sie sah kaum, wohin sie trat, stolperte, stürzte, raffte sich auf und lief weiter. Da vorn mußte der andere Weg sein, der, den sie heute nachmittag gegangen waren. Ingrid sprang mit großen Sätzen weiter.
Plötzlich fühlte sie einen stechenden Schmerz. Das rechte Bein sackte unter ihr weg, als gehöre es ihr nicht mehr. Ingrid schrie auf und stürzte der Länge nach hin. Das Bein brannte wie Feuer, sie konnte kaum atmen vor Schmerz. Unmöglich, sich aufzurichten, zu stehen, alles was sie tun konnte, war, sich auf dem Bauch ein Stück vorwärts zu bewegen, um näher an die Straße zu kommen. Nicht einmal zu schreien traute sie sich, aus Angst, dieser gräßliche Kerl könne auf sie aufmerksam werden. Ingrid schluchzte hemmungslos.
Ingrid wußte nicht, wie lange sie so gelegen hatte. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so einsam gefühlt. Und immer hatte sie sich eingebildet, sie brauche keinen Menschen, sie sei stark genug, sich in jeder Situation allein durchzuboxen. Nie hatte sie eine richtige Freundin gehabt, weil es ihr lästig war, auf die Wünsche einer anderen Rücksicht zu nehmen. Jetzt sehnte sie sich danach, daß es einen Menschen auf der Welt gäbe, dem es nicht gleichgültig war, ob sie hier hilflos vor Schmerzen wimmernd die Nacht im Feld verbrachte!
Stöhnend versuchte sie, sich etwas aufzurichten. Sie glaubte, verrückt zu werden vor Schmerzen.
Plötzlich hörte sie Schritte. „Ist da wer?“ Das war Irmgards Stimme.
Statt einer Antwort schluchzte Ingrid auf. „Ingrid! Um Himmels willen, wie kommst du denn hierher? Ist dir was passiert?“
„Ich – ich – oh.“ Sie konnte eine ganze Weile vor Weinen nicht sprechen. Aber dann erzählte sie Irmgard die ganze Geschichte, wie sie sich danach gesehnt hatte, sich an Irmgard zu rächen, sie in Angst und Schrecken zu
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