MicrDolly - 07 - Dolly hat Heimweh nach der Burg
Sitten in deinem früheren Internat geherrscht haben, aber hier bist du nicht im Schweinestall!“
Dieses Ereignis hatte Ingrid keineswegs nachdenklich gestimmt. Ihre Wut auf Irmgard war nur noch größer geworden und sie dachte ständig darüber nach, wie sie sich an ihr rächen könnte.
Ein Zufall kam ihr zu Hilfe. Die vierte Klasse machte eine Wanderung in die Umgebung, um auf einer Wiese nach verschiedenen Kräutern und Wiesenblumen für den Biologie-Unterricht zu suchen. Es war heiß, und zwischendurch machten sie im Schatten eines Heuschobers Rast, um sich abzukühlen. Als sie die mitgebrachten Brote und die Limonade verzehrt hatten, stöberten die Mädchen ein wenig in der dunklen Scheune herum. Sie schien zuletzt als Unterstand für die Kühe auf der Weide gedient zu haben, denn der Boden war hoch mit Kuhmist bedeckt, der zum Teil noch naß und glitschig war. Mäuse huschten in den Ecken herum und Judith schrie auf, als sie mit den Haaren in ein Spinnennetz geriet und eine riesige Spinne sich vor ihren Augen herunterließ und davonkroch.
„Laßt uns bloß hier abhauen, das ist ja widerlich“, sagte Irmgard und wandte sich zur Tür. Ingrid stand dicht hinter ihr und sah, daß Irmgards goldene Armbanduhr, die sie beim Kräutersuchen abgenommen und eingesteckt hatte, ein wenig aus ihrer Jackentasche schaute. Ingrid trat noch näher an Irmgard heran und zog die Uhr vorsichtig aus der Tasche. Irmgard merkte nichts. Ingrid hielt die Uhr in der Hand versteckt und wartete, bis die anderen Mädchen an ihr vorbei hinausgegangen waren. Dann warf sie sie mit einem Gefühl tiefer Befriedigung mitten in einen großen Haufen Kuhdung. Mit angeekeltem Gesicht stürzte sie danach hinter den anderen her ins Freie, schloß die schwere Holztür und schob den Riegel vor.
„Gräßlich, der Gestank, keinen Augenblick hätte ich es darin mehr ausgehalten!“ stöhnte sie.
Fräulein Wagner mahnte zum Aufbruch. Eine Stunde suchten sie noch nach Pflanzen, dann wanderten sie zur Burg zurück. Irmgard schien ihre Armbanduhr nicht zu vermissen. Ingrid blieb ständig unauffällig in der Nähe, um zu sehen, wie Irmgard reagieren würde.
Endlich, als sie nach dem Abendessen auf den Stufen der Freitreppe saßen und beobachteten, wie die Sonne als glutroter Ball hinter den Wiesen untertauchte, rief Irmgard aus: „Du lieber Himmel! Meine Uhr ist weg! Ich muß sie aus der Tasche verloren haben…“
„Wieso aus der Tasche?“ fragte Ingrid gleichmütig. „Trägst du deine Uhr in der Tasche mit dir herum?“
„Unsinn. Ich habe sie nur heute abgenommen, damit sie nicht zerkratzt wird. Sie ist ein Geschenk meiner Eltern, sie ist sehr kostbar. Hätte ich sie bloß gleich hiergelassen, als wir losgingen! Was mache ich jetzt bloß?“
„Du wirst sie suchen müssen“, meinte Judith. „Morgen in der Freistunde. Du mußt alle Wege noch mal abgehen, die du heute gegangen bist.“
„Morgen? So lange kann ich nicht warten! Ich würde die ganze Nacht nicht schlafen können. Nein, nein – ich muß sofort gehen.“
Im Schutz der Bäume rannte Ingrid hinter Irmgard her, um sie zu überlisten
„Das erlaubt Fräulein Pott nie“, sagte Ingrid kühl. Innerlich aber bebte sie vor Aufregung, ob Irmgard wirklich in die Falle gehen würde.
„Wenn ihr mich nicht verpetzt? Es ist noch ungefähr eine Stunde lang hell. Das müßte ich leicht schaffen.“
„Na, hell ist übertrieben“, meinte Steffi. „Ob du in der Dämmerung noch was siehst? Warte lieber bis morgen.“
Aber Irmgard wollte nicht warten. Der Gedanke, daß ihre geliebte und gehütete Uhr da irgendwo im nassen Gras lag und sie sie vielleicht nie wiederfinden würde, war ihr unerträglich. Irmgard tat genau das, was Ingrid gehofft hatte. Sie lief heimlich weg, um ihre Uhr zu suchen.
„Ich gehe noch mal runter in den Keller, meine Schuhe putzen“, sagte Ingrid und reckte sich. „Ich habe es heute nachmittag nicht mehr geschafft, und wenn die Hausmutter das merkt, gibt’s wieder Ärger. Kommt jemand mit?“
Diese Frage konnte sie mit gutem Gewissen stellen, sie war sicher, daß keines der Mädchen auch nur im Traum daran dachte, um diese Zeit noch Schuhe zu putzen. Ingrid schlenderte ins Haus und auf der anderen Seite wieder hinaus über den Hof. Soweit sie außer Sichtweite war, begann sie zu rennen. Da vorn ging Irmgard, sie versuchte sich Schritt für Schritt ins Gedächtnis zu rufen, wo sie gegangen war. Ingrid rannte im Schutz der Bäume auf der anderen Seite des Feldes entlang, das
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