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Microsklaven

Microsklaven

Titel: Microsklaven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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einmal mich gehalten hat, vor langer Zeit.
    Und Karla führte Dad sanft zu dem Klappbett und sagte: Mr. Underwood, krempeln Sie die Ärmel hoch. Mr. Underwood, Ihre Frau ist immer noch hier, und sie hat Sie noch nie so sehr gebraucht wie jetzt.
    U nd dann ist da Bug, der Mom die bunten Comics aus der Sonntagszeitung vorliest und sich redlich bemüht, The Lockhorns lustig klingen zu lassen, und dann zu seinem teilnahmslosen Publikum sagt: »Ach, Mrs. Underwood, ich verstehe Ihre Reaktion voll und ganz. Das ist so, als würde ich Ihnen Cocktail-Servietten aus den 70ern vorlesen. Ich muß zugeben, mir hat dieser Strip noch nie gefallen«, und dann redet er über die Politik der Syndication und darüber, welche Comic-Strips er unkomisch findet: The Family Circus, Peanuts, Ziggy, Garfield und Sally Förth. Er ist beinahe lebhafter, als wenn er sich mit uns unterhält.
    Dann ist da das Bild von Amy, die Mom dreckige Witze erzählt, und von Michael, der versucht, ihre Zoten zu unterbinden, aber von all dem Dreck hinweggefegt wird, um dann mit Pentium-Witzen zu reagieren.
    Da ist Susan, die meiner Mom das Haar wäscht und schneidet und sagt: »Sie werden genau wie Mary Tyler Moore aussehen, Mrs. U. Das wird richtig hübsch« und über Neuzugänge auf der Chyx-Seite spricht.
    Da ist Ethan, Ethan, selbst an der Schwelle des Todes, der sagt: »Tja, Mrs. U., wer hätte gedacht, daß ich noch mal bei Ihnen Wache halten würde. Wenn das nicht komisch ist. Es ist komisch, und das wissen Sie. Ich würde Ihnen ja den Verband wechseln, aber Sie haben keinen, und ohne geht's nicht.« Da sind Dusty und Todd, die ihr Stretching-Übungen für die Beine zeigen, über Physiotherapie reden und ihr Tips geben, wie sie ihre Muskeln für den Tag trainieren soll, an dem sie wieder ihre Befehle empfangen.
    Und da ist Abe, der einen Topf Geld mitgebracht hat, einen Topf voller Münzen, und gesagt hat: »Zeit, ein bißchen Kleingeld zu sortieren, Mrs. U. Nicht besonders amüsant für Sie, aber ich werde versuchen, Sie ein wenig zu unterhalten, während ich sortiere ... Oh, sehen Sie ... ein Peso. Wow!«
    L etzte Woche hat sie ein richtiger Stoß durchzuckt. Letzte Woche hat Karla gesagt: »Du mußt noch weiter gehen, Dan, du mußt sie in den Arm nehmen.«
    Ich sah Moms Körper an - den so lange niemand im Arm gehalten hatte - und dachte an Familien, die zusehen müssen, wie eines ihrer Mitglieder langsam stirbt, und die einander alles gesagt haben, was man nur sagen kann - und so ist alles, was ihnen noch bleibt, dazusitzen und zu -liegen und Haare zu spalten oder übers Fernsehen zu reden - und so hielt ich Moms Körper und erzählte ihr, wie mein Tag war. Ich redete über rote Ampeln auf dem Camino Real, Schlangen bei Fry's, unhöfliche Angestellte bei der Telefonauskunft, den Verkehr auf der 101, den Preis von Käsescheibletten bei Costco.
    D ieser Nachmittag, dieser Nachmittag des Tags der Tage. In dieser Stimmung, in der das Königreich auf Erden trotz der Grausamkeit des Lebens schön ist, nahm ich den CalTrain und den BART rüber nach Oakland, einfach, um mal rauszukommen, um der Klaustrophobie zu entrinnen. Manchmal vergessen wir alle, daß die Welt das Paradies ist, und in letzter Zeit ist viel passiert, was diesem Gedächtnisverlust Vorschub geleistet hat.
    Am Straßenrand sah ich eine abgespulte Kassette liegen, deren braune Bänder in der Sonne flatterten - Ton zu Licht konvertiert. Auf dem BART-Bahnsteig in Oakland spürte ich einen warmen Windstoß. Plötzlich wollte ich nach Hause, mit meiner Familie, meinen Freunden zusammensein.
    Ich wurde von Michael begrüßt, der die Haustür öffnete. Er erzählte mir eine Geschichte, die er mal in den Nachrichten gesehen hatte, eine Geschichte über einen Jungen mit Hirnlähmung, der an einen Computer angeschlossen wurde, und das erste, was er auf die Frage sagte, was er gerne tun würde, war: »Pilot werden.«
    Michael sagte zu mir: »Das brachte mich auf den Gedanken, daß man deine Mutter vielleicht auch mit einem Computer verbinden sollte, und vielleicht wäre sie in der Lage, mit den Fingern die Tasten zu bedienen. Dann könnte sie mit uns sprechen.« Und dann sah er mein Gesicht und sagte: »Sie könnte mit dir sprechen, Dan. Ich hab' 'ne ganze Menge darüber gelesen.«
    Wir gingen in die Küche, wo Bug und Amy Bugs Theorie diskutierten, daß »Menschen nicht wirklich als individuelle ›Ichs‹ existieren - sondern daß es vielmehr zu jedem Zeitpunkt nur eine ›Wahrscheinlichkeit‹

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