Microsklaven
einem tieferen Sinn«, fügte Michael zu meinem maßlosen Mißfallen hinzu.
Wir nutzten ein kurzes Abebben der Lexus-Flut, um über die Straße zu hasten, und gingen den Berg hinunter. »Ich kann dir die Acht-Jobs-im-Leben-Realität auch nicht erklären, in der wir jetzt leben. Ich bin ja kaum in der Ein-Job-im-Leben-Welt zurechtgekommen«, sagte Dad.
Die Sonne war golden - Vögel schwangen sich in den Himmel. Autos schnurrten vor einer roten Ampel. Dad sah so entspannt und glücklich aus. »Ich habe immer geglaubt, Geschichte würde in Denkfabriken gemacht, im Energieministerium zum Beispiel oder bei der RAND Corporation in Santa Monica, Kalifornien. Ich dachte, Geschichte wäre etwas, was anderen Leuten passiert - da draußen. Ich wäre nie darauf gekommen, daß Geschichte etwas ist, was mein Kind im Keller zusammenbastelt. Das ist für mich ein Schock.« Ich erzählte Dad von dem neuen Wort, das ich gelernt hatte, Deletia, und er lachte: »Das bin ich!«
Bald darauf waren wir unten auf dem Camino Real. Ich mußte zurück zu meinem Auto. »Seid ihr mit dem Wagen da?« fragte ich. »Soll ich euch irgendwohin mitnehmen?«
»Danke«, sagte Dad. »Wir gehen zu Fuß.«
»Bis nachher im Habitrail«, sagte Michael. Ja, ja ...
A ls ich heimkam, war Karla draußen vor dem Haus und goß aus einer Dose den Kräutergarten. Ich sagte zu ihr, es sei zwar ein extrem unweihnachtlicher Gedanke, aber ich würde Michael am liebsten umbringen. »Michael? Um Himmels willen, wieso das denn?«
»Er...«
»Ja?«
»Er klaut mir meinen Vater.«
»Sei nicht albern, Dan. Das bildest du dir ein.«
»Dad redet überhaupt nicht mehr mit mir. Er ist immer mit Michael zusammen. Scheiße, ich weiß nicht mal, was er überhaupt tut. Vielleicht verkaufen sie Atombombenzubehör nach Kasachstan.«
»Vielleicht sind sie jetzt ein Paar«, sagte Karla. »Was?«
»Das war ein Witz, Dan. Ganz ruhig. Reiß dich zusammen. Was redest du bloß für einen Quatsch? Erstens: Michael könnte noch nicht mal einen Nestle-Crunch-Riegel klauen, geschweige denn ein Elternteil. Dafür ist er nicht der Typ. Ist dir jemals in den Sinn gekommen, daß sie vielleicht einfach Freunde geworden sind?«
»Er weiß Beschied über Jed. Er versucht, Jed zu sein. Und ich kann da nicht mithalten.«
»Blödsinn.«
»Hab' ich das nicht auch gesagt, als du mir von deiner Familie erzählt hast?«
»Das ist doch was anderes.«
»Wieso?«
»Weil... Weil es eben so ist.«
»Sehr logisch, Karla.«
Sie kam zu mir herüber. »Meine Güte, bist du verspannt - du kannst von Glück sagen, daß du nicht die Killergrippe gekriegt hast. Deine Muskeln sind so hart wie Brecheisen. Du machst dich bloß krank, wenn du so was denkst. Komm her - ich massier' dir den Rücken und red' dir diesen Unsinn wieder aus.« Während sie mir die Knoten aus dem Körper zupfte, die Sperrmüllkühlschränke und -sofas und Müllsäcke unter meiner Haut verschwinden ließ, redete sie so, wie sie es immer tut. Sie sagte mir: »Körper sind wie Disketten mit Symbolen. Man klickt sie an und sieht sofort die Größe und Art der Dateien. Beim Menschen erscheint die Information im Gesicht.« Knet, knet, reib, knuff.
»Wenn du eine Menge über die Welt weißt, zeigt sich dieses Wissen in deinem Gesicht. Anfangs kann einem das vielleicht angst machen, doch man gewöhnt sich dran. Manchmal wirkt es abschreckend. Aber ich glaube, es schreckt nur Leute ab, die Angst haben, selbst zu schnell zuviel zu lernen. Wenn man zuviel über die Welt weiß, kann es passieren, daß man aufhört, zu lieben - und geliebt zu werden. Und das Gesicht deines Vaters hat sich verändert. Er wirkt wie ein neuer Mensch -anders als bei seiner Ankunft vor dem alten Haus in Redmond. Auf welche Weise auch immer er sich verändert haben mag -es war zu seinem Besten. Das darfst du nicht vergessen.« Widerstrebend: »Na gut.«
Ich denke manchmal, wenn Karla nicht wäre, würde ich einfach implodieren.
FREITAG, 24. Dezember 1993
S oftware-Spaß: Heute kam die Arbeit zum Stillstand, weil Bug ein Anagramm-Programm auf unseren Server geladen hat, das alle Wörter ausspuckt, die man aus den Buchstaben seines Namens bilden kann. Michael war sauer, weil wir dadurch zusammen mehrere Arbeitsstunden verloren haben. Morgen ist Weihnachten, und jetzt schicken alle ihren Verwandten und Freunden per Fax und E-Mail ihren Namen als Anagramm. Die Geschenklösung für das kleine Budget. Außerdem laden wir uns alle Shareware herunter und surfen im Valley
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