Microsklaven
weniger hochtourige Ausgabe von Dusty.
Sie schlenderte eine Zeitlang im Lego-Garten herum, sah uns beim Programmieren zu und gähnte dann nachdrücklich. Nach wiederholtem theatralischem Gähnen zog sie zwei Simpsons -Videos aus ihrer Handtasche und begann, sie sich auf dem Videorecorder anzusehen, und einer nach dem anderen lösten wir uns von unseren Arbeitsplätzen und sahen mit ihr fern.
Michael kam mit Dad ins Büro, sah, daß wir untätig und lachend vorm Fernseher hingen, flippte aus und scheuchte uns wieder an die Arbeit und Michelle zum Bahnhof. Jetzt ist Michael Bill!
Dusty sagte Ciao und machte sich wieder daran, ihre Algorithmen zurechtzubiegen. Ihre armen Eltern - sie haben sich so sehr zwei Folk singende und Umhängetücher strickende Leslie Van Houtens und Patricia Krenwinkels gewünscht. Statt dessen kriegten sie zwei hellhäutige Grace-Jones-Replikanten, zusammengemorpht mit einer Malibu-Barbie.
D ate-Update: Susan hat kein Tattoo.
W ir haben entdeckt, daß Dusty Expertin ausgerechnet für das Österreich-Ungarische Kaiserreich ist (ein paar Semester an der UC Santa Cruz). Das ergibt doch mal wieder gar keinen Sinn. Sie hat das studiert, um ihren linken Hippie-Freak-Eltern einen Gefallen zu tun. (»Das war ein Schnellstudium, das nur zwei Jahre dauerte«, sagt sie. »Subjektives läßt sich ja so viel schneller vermitteln.«) Die Entdeckung, daß Dusty über irgendeinen verkalkten Aspekt der europäischen Geschichte dermaßen gut Bescheid weiß, war so, als würde man - ich weiß nicht -, als würde man herausfinden, daß das fröhliche Gesicht auf der Kool-Aid-Flasche einem Transvestiten gehört. Da komm noch einer mit.
Ich erwähne das, weil Todd und Dusty heute bei einem Essen mit einer Clique trübsinniger ex-marxistischer Freunde ihrer Eltern drüben in Berkeley waren, die alle meinen, sie seien vom Lauf der Geschichte überrollt worden, Protestsongs zur fünfsaitigen Gitarre singen und ihre Gesichtsbehaarung sprießen lassen, wie's der Natur gefällt. So in dem Stil. Bestimmt brannten jede Menge Kerzen.
Ich glaube, durch die religiöse Atmosphäre dort hat Todd Heimweh nach seinen fanatisch religiösen Eltern in Port Angeles gekriegt. Er kam zurück ins Büro, brütete eine Weile vor sich hin, und dann fing er an zu weinen, ging hinaus auf den Rasen und kam eine Stunde lang nicht zurück. Ach ja, außerdem habe ich heute nachmittag Ethan dabei ertappt, wie er unter den Sofakissen nach verlorenen Geldstücken suchte. War das peinlich!
MITTWOCH
S pitzen-Klatsch: Todd hat verkündet, er werde jetzt... Marxist! Ausgerechnet.
»Mein Gott, Todd«, sagte Ethan. »Warum sagst du nicht gleich, du wirst Bugs Bunny?«
Karla fragte: »Marxist? Aber Todd - die Mauer gibt's schon seit 1989 nicht mehr.«
»Das spielt keine Rolle.«
»Nein, natürlich nicht«, sagte Ethan.
»Arrogantes bourgeoises cochon«, versetzte Todd.
Wie auch immer, Todd hat etwas Externes gefunden, woran er glauben kann. Ich denke nicht, daß das was mit Dummheit oder Cleverneß zu tun hat, sondern wie immer nur damit, daß er etwas braucht, das er braucht.
E than war ganz schön stinkig: »Wenn Todd erwartet, daß wir ihn irgendwie mit Respekt behandeln, bloß weil er an so eine veraltete, Cartoonmäßige Ideologie glaubt, dann hat er sich geschnitten.«
Ethans Haltung ist »reaktionär« (das Wort hat Todd mir beigebracht). Aber wie jeder, der gerade zu einem neuen Glauben konvertiert ist, strahlt Todd wirklich eine Selbstgerechtigkeit aus, die ein kleines bißchen irritierend - um nicht zu sagen: lästig - ist.
Michael sagte dazu: »Mal abgesehen von allem anderen halten ihn seine Predigten vom Kodieren ab - als ob das Bodybuilding die CPU seines Gehirns nicht bereits genug in Anspruch nehmen würde. Ich glaube, seine Eltern haben ihm in ihrer Religiosität das tief verwurzelte Bedürfnis anerzogen, sich irgendeiner Sache bedingungslos zu verschreiben.« Karla sagte: »Ich finde, wir nennen sie von jetzt an einfach Boris und Natascha.«
K arla und ich unterhielten uns im Bett noch weiter über diese Neuigkeit. Wir konnten es kaum fassen. »Wie um alles in der Welt kommt er plötzlich auf Politik!« fragte ich. »Todd ist von einem historisch leeren Menschen zu einem jungen post-mar-xistischen, post-humanen Code-Fresser geworden. Hat seinen Glauben wohl auf dem Posing-Podest gefunden.«
»Die rote Gefahr.«
Und da sag noch einer, daß Menschen sich nicht ändern!
E -Mail von Abe aus seinem Kurzurlaub in
Weitere Kostenlose Bücher