Microsklaven
Demokratisierung der Erinnerungen läßt unseren alten Geschichtsbegriff nur noch schneller hinfällig werden. Es hat sich gezeigt, daß Geschichte ein veränderliches intellektuelles Konstrukt und anfällig für Revisionismus ist, da ein Kreis von Menschen, der Zugriff auf eine große Datenbank hat, sich gegenüber einem anderen durchsetzen kann, dem nicht die gleiche Datenmenge zur Verfügung steht. Das uralte Wort ›Wissen ist Macht‹ gilt nicht mehr, wenn alle Erinnerungen sich kopieren und einfügen lassen - aus Wissen wird Weisheit, und Kreativität und Intelligenz, die bislang durch den fehlenden Zugriff auf neue Ideen behindert wurden, können gedeihen.«
Ich wechselte das Thema: Woher kriegen wir Karten für das bevorstehende Spiel der Sharks in San Jose?
FREITAG
T odd hat sich dafür entschuldigt, daß er mich
als Kryptofaschisten bezeichnet hat, und mich statt dessen
»einen
Mann der Mitte« genannt.
Die Formatierung dieses Absatzes
spricht für sich.
D ad hat sein Vorstellungsgespräch bei Delta hinter sich. »Ein Vorstellungsgespräch ist ein Vorstellungsgespräch ist ein Vorstellungsgespräch«, sagte er. Ich glaube, er will sich nur nicht zuviel Hoffnungen machen.
S päter habe ich Dusty von Michaels These, die Geschichte sei tot, erzählt, und sie riß erstaunt die Augen auf. Verschwörerisch sagte sie: »Vielleicht ist Michael Kryptomarxist.« (O Gott...) Sie plapperte und plapperte, und es ist wirklich irre, zuzusehen, wie Dustys Mund sich bewegt und ernsthaft politische Worte rauskommen. Das paßt einfach nicht zu ihrem Computer-Image. Ich hab' immer das Gefühl, sie sollte lieber über Peeling oder Bräunungsfaktoren reden, aber andererseits ist auch der Körper Politik. Zumindest hat Dusty das im Büro verlauten lassen.
Ich überraschte sie, indem ich sagte: »Da im Marxismus Besitz, Eigentum und die Kontrolle der Produktionsmittel so eine große Rolle spielen, ist er vielleicht am Ende die einzig wahre Philosophie dieser Benetton-Welt, in der wir jetzt leben.« Sie antwortete: »He, Danster - ich hab' dich unterschätzt.« Es war interessant, mal einen kurzen Ausflug auf das Gebiet der Politik zu unternehmen - so gesehen.
SAMSTAG
D usty hat eine »Bulimie-Top-Ten« erstellt. Sie hat wirklich überhaupt keine Probleme damit, über ihren Körper zu reden. Sie hat uns sogar gestanden, daß sie im großen Stil Ladendiebstahl betreiben mußte, um sich ihre Sucht leisten zu können. »He, Baby - Bulimie ist nicht billig.« Karla sagte wie üblich gar nichts zu dem Thema.
Bulimie-Top-Ten:
• mehrere Eimer Häagen-Dazs Erdbeere
• zwei große Portionen Spaghetti
• eine große Schachtel Godiva-Pralinen
• acht überbackene Käsesandwiches mit Ketchup
• ein ganzer Käsekuchen
• zwei Dutzend Becher Schokoladenpudding
• vierhundert Weintrauben
• ein Eimer McDonald's-Pommes
• eine noch größere Schachtel Godiva-Pralinen
• die größte Pralinenschachtel des Universums.
D ustys Kreativ-Projekt ist ein Schönheitschirurgie-Programm für Oop! Die Grundstrukturen von Körper und Gesicht werden ins System geladen, und der Oop!-User kann, indem er Steine absaugt und implantiert, daraus jeden beliebigen Körper formen.
Dusty arbeitet ganz konsequent ausschließlich mit richtigen medizinischen Parametern, so daß man, selbst wenn man wollte, Arnold Schwarzenegger nicht in Christy Turlington verwandeln könnte. »Man kann nur aus dem vorhandenen Potential schöpfen. Der Benutzer muß die Grenzen des Körpers kennen.«
Sie benutzt dieselben Knochen-Parameter wie Susan bei ihrem Programm mit den tanzenden Skeletten.
A propos Christy Turlington: Mir ist aufgefallen, daß offenbar ziemlich viele Frauen Christy Turlington sein möchten.
Ich habe sogar festgestellt, daß sich die moderne Konversation, wenn sie sich einmal nicht um das Verschwinden der Zeit dreht, mit Supermodels beschäftigt. Mir scheint, Supermodels sind wie Geeks, bloß daß sie nicht wie diese in Sachen Gehirn, sondern in Sachen Aussehen das große Los gezogen haben. Es muß bizarr sein, supertoll auszusehen. Ich meine, Intelligenz kann man wenigstens verbergen.
S upermodel; Superhighway. Zufall?
D ie Spitznamen Boris und Natascha sind ein voller Erfolg. Wir sprechen sie jetzt sogar direkt damit an. Ich glaube, es gefällt ihnen.
I ch vergesse immer, daß Susan reich ist, aber sie ist es nun mal. Sie war bei Draeger's einkaufen und kam mit eßbaren Blumen ($ 1,99 ein Topf) und Bear-Head-Pilzen
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