Microsoft Word - Atlan 031 - Panik in Quinto-Center.rtf
sich an und diskutierten Daseinsfragen. Schließlich sagte der Fremder:
“Soll ich mich umbringen?
Ich schaute überrascht auf.
17.
SINCLAIR M. KENNON: Ein unbehagliches Schweigen entstand zwischen uns. Es war merkwürdig: Ich hatte zu diesem klugen alten Mann fast mehr Vertrauen als zu Tekener, obwohl dies ein Ara war.
“Nein”, sagte Silvera schließlich. “Du sollst dich nicht töten.”
“Warum nicht?” fragte ich.
Er kaute bedächtig auf seinem gebratenen Fisch, dann erwiderte er undeutlich: “Weil man etwas, das lebt, nicht vorzeitig aus dem Leben nehmen soll. Das
Leben währt nur kurze Zeit. Es erfordert Mut, zu leben. Und Mut sollte ein Mann haben. Der Mut, weiterzuleben, ist größer als der, Selbstmord begehen zu können.”
Ein Mann, älter als einhundert terranische Jahre. Er war dunkelbraun gebrannt von der Sonne. Seine Haut schien vom Seewasser und vom Wind förmlich gegerbt zu sein. Die weißen Augen blickten mich an, gleichzeitig starrten mich die beiden großen Linsen an, deretwegen das Sehgerät den Namen Eule trug. Ich wußte kaum etwas von ihm, er kannte mich nicht. Nicht einmal, daß ich USO-Spezialist Sinclair Marout Kennon war. ‘Die Ruhe, das gefilterte Licht und die Stille wirkten wahre Wunder, und jedes Wort, das Silvera sagte, beruhigte mich mehr und mehr.
“Es erfordert viel Mut, so zu leben, wie ich lebe”, widersprach ich. “Das ist richtig”, sagte der blinde Mann. “Kannst du sehen?”
“Ja.”
Er vollführte eine weitausladende Geste und sagte mit seiner leisen, aber festen
Stimme:
“Du siehst Farben. Du siehst Formen. Du kannst die Sonne sehen, die Monde
und das Wasser. Du kannst in aller Ruhe ein Bild betrachten, ein schönes Mädchen
oder die bestechende Form eines Raumschiffes. Du kannst die Sterne sehen und ein
Buch lesen. Das alles kann ein. Toter nicht.”
Ich mußte nicken und entgegnete:
“Richtig. Aber ich sehe auch meine eigene Unzulänglichkeit. Ich sehe meine
Fehler und den Zustand meines Körpers.”
Er lachte kurz:
“Solange du denken kannst, kannst du Vergleiche anstellen. Es gibt eine
Wertskala der Dinge. Aller Dinge. Es ist besser, etwas sehen oder bemerken zu können
als ein Leben ohne diese Auseinandersetzung.
Der Wert dessen, das man sehen und worüber man nachdenken oder mit
jemandem reden kann, ist ungleich höher als der Tod. Siehst du das ein?” Ich fühlte, wie mein Aggressionstrieb kleiner und kleiner wurde. Jetzt hätte hier
ein Robot erscheinen können; ich hätte ihn nicht beachtet.
“Ja”, sagte ich. “Das sehe ich ein.”
Der alte Mann hob einen Becher, goß aus einem Krug Fruchtsaft hinein und
sprach weiter:
“Kannst du hören?”
“Ausgezeichnet!”
Er nickte und fuhr fort:
“Du mußt sämtliche Lebensäußerungen bejahen, wenn du dich entschlossen
hast, weiterzuleben. Du kannst das Rauschen der Brandung hören und den Schrei der
Vögel, ein Musikstück oder das Flüstern einer Frau. Das alles ist vorbei, wenn du tot
bist. Selbst ich hier, am jenseitigen Rand meines Lebens, bin besser drän als ein
Toter—ich höre und sehe alles. Oder doch fast alles: Ich habe’ eine Rechnung
aufgestellt. Alles. das, was schlechter ist als Weiterleben, steht auf einer Seite. Alles, was besser ist als der Tod, steht auf der anderen. Glaub mir, es ist besser
und eines Mannes würdiger, weiterzuleben. Selbst unter noch viel schlechteren
Umständen als den deinen.”
Ich bedauerte jetzt, daß ich versucht hatte, mit Lehm und Gräsern meinem
Skelett eine menschenähnliche Form zu geben. Ich sah ein, daß die Weigerung,
weiterzuleben, kindisch war und meines Verstandes nicht würdig.
Meine Neurose wurde unter Schichten von Ruhe und Verständnis begraben. “Gut”, sagte ich. “Ich werde weiterleben!”
“Recht so”, erwiderte Sivera Mangassar. “Das halte ich für eine pürnige Idee.” Ich lehnte mich zurück. Der Stuhl knirschte unter meinem Gewicht. “Woher kommst du? Von einer anderen Welt?” fragte Mangassar. “Ja”, murmelte ich. “Ich bin von dort in äußerster Verwirrung geflohen. Ich hielt es
nicht mehr aus. Aber jetzt weiß ich, daß ich weiterleben werde. Schließlich habe ich
jede Menge Hoffnung für die Zukunft.”
Der alte Mann nickte, dann gähnte er ausgiebig.
“Du wirst sehen, daß das Leben schön sein kann. Und dort, wo es nicht schön
ist, bleibt es so interessant, daß du deine ironischen Betrachtungen darüber anstellen
kannst. Dies ist mein Rat:
Geh zurück, dorthin, woher du gekommen bist. Nimm deine
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