Microsoft Word - Christian Jacq - RAMSES3 - Die Schlacht von Kadesch.rtf
Nubiens. Traum eines zersplitternden Königreiches, letzte symbolische Darstellung der Macht Ägyptens und seiner Herrschaft über den Norden und den Süden.
Auch zwei Köcher gab es auf dem Wagen, einen für die Pfeile, einen für die Bogen und Schwerter. Mit diesen lächerlichen Waffen wollte der Pharao nun offensichtlich gegen eine ganze Armee antreten.
Ramses knotete sich die Zügel um den Leib, um die Hände frei zu haben. Die beiden Pferde waren klug und beherzt, sie würden sich geradewegs ins Schlachtgetümmel stürzen. Ein tiefes Brüllen machte dem König Mut: Sein Löwe Schlächter war ihm treu und würde mit ihm kämpfen bis zum Tod.
Ein Löwe und ein Pferdegespann: das waren die letzten Verbündeten des Pharaos von Ägypten. Die Streitwagen und Fußtruppen der Amun-Einheit liefen vor dem Feind auseinander.
«Wenn dir ein Fehler unterläuft», hatte Sethos gesagt, «suche die Schuld nur bei dir, bei keinem anderen, und dann berichtige ihn. Kämpfe wie ein Stier, ein Löwe und ein Falke, schleudere Blitze wie das Gewitter. Sonst wirst du besiegt werden.»
Mit ohrenbetäubendem Lärm, eine Staubwolke aufwirbelnd, stürmten die Streitwagen der Verbündeten die Anhöhe hinauf, auf deren Kuppe, hoch aufgerichtet in seinem Wagen, der Pharao von Ägypten stand.
Ein tiefes Gefühl von Ungerechtigkeit hatte Ramses übermannt. Warum wandte das Schicksal sich gegen ihn, warum sollte Ägypten unter den Hieben der wilden Horden zugrunde gehen?
In der Ebene war von der Einheit Re nichts mehr zu sehen, wer mit dem Leben davongekommen war, war gen Süden geflüchtet. Die verbliebenen Reste der Einheiten Ptah und Seth waren auf dem Ostufer des Orontes festgenagelt. Und die Amun-Einheit, die über die besten Wagenlenker verfügte, hatte sich als feige erwiesen.
Gleich beim ersten Ansturm der Verbündeten war sie in sich zusammengebrochen.
Kein höherer Offizier war mehr da, kein Schildknappe, kein kampfbereiter Bogenschütze. Ungeachtet ihres Dienstgrades hatten alle nur eines im Sinn, ihr Leben zu retten, und dabei hatten sie Ägypten völlig vergessen. Menna, der Knappe des Königs, lag auf den Knien, das Gesicht in den Händen, um den Feind, der da auf ihn zudonnerte, nicht sehen zu müssen.
Fünf Regierungsjahre, fünf Jahre, in denen Ramses sich bemüht hatte, im Sinne Sethos’ zu handeln und Ägypten weiter auszubauen zu einem reichen und glücklichen Land, fünf Jahre, die nun im Unheil enden sollten, dem Vorspiel für die Eroberung der Beiden Länder und die Unterwerfung ihrer Bevölkerung. Nefertari und Tuja dürften dem Schwärm Raubvögel, die im Delta niedergehen und das Niltal verwüsten würden, nur kurz Widerstand leisten können.
Selbst die Pferde trauerten, als errieten sie die Gedanken ihres Herrn.
Da lehnte Ramses sich auf.
Er erhob die Augen zur Sonne und sprach zu Amun, dem im Licht verborgenen Gott, dessen wahre Gestalt kein menschliches Wesen je schauen würde.
«Ich rufe zu dir, mein Vater Amun! Kann ein Vater seinen Sohn im Stich lassen, allein, inmitten einer Horde von Feinden? Was ist geschehen, daß du dich so verhältst, war ich auch nur ein einziges Mal ungehorsam? Sämtliche Fremdländer haben sich gegen mich verbündet, meine Soldaten, die doch so zahlreich waren, haben die Flucht ergriffen, und nun stehe ich hier allein und hilflos. Aber was sind diese Wilden anderes als grausame Wesen, die das Gesetz der Maat nicht achten? Dir, mein Vater, habe ich Tempel erbaut, dir jeden Tag Opfergaben bringen lassen. Du hast den Duft der herrlichsten Blumen genossen, hohe Pylone habe ich für dich errichtet, Masten mit ewigem Feuer aufgestellt, damit sie von deiner Anwesenheit in den Heiligtümern künden, aus den Steinbrüchen bei Elephantine habe ich Obelisken heraushauen lassen, die dir zum Ruhme aufgestellt wurden. Ich rufe zu dir, mein Vater Amun, weil ich allein bin, vollkommen allein. Mit liebendem Herzen habe ich alles für dich getan, handle du in diesem Augenblick der Verzweiflung für den, der handeln muß. Amun ist für mich mehr wert als Millionen Soldaten und hundert Millionen Streitwagen. Die Tapferkeit einer solchen Menge ist nichts gegen dich, Amun ist schlagkräftiger als ein ganzes Heer.»
Die Schanzpfähle, die den Zutritt in das Herzstück des Lagers verwehren sollten, gaben nach und ließen den anstürmenden Kampfwagen freie Bahn. In weniger als einem Augenblick würde Ramses nicht mehr leben.
«Mein Vater», rief der Pharao, «warum hast du mich
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