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Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Titel: Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dfg
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jeder. Ob sie wohl kurz beim Polizeigefängnis halten könnten? Er wolle nach dem Nichtsnutz sehen.
Unmöglich, sagte Humboldt. Er dürfe sich dort nicht blicken lassen.
Der führende Republikaner Europas könne nicht das Polizeigefängnis betreten?
Gerade der führende Republikaner nicht, sagte Humboldt. Seine Position sei fragiler, als es auf den ersten Blick scheine. Auch der Ruhm sei nicht immer ein Schutz. Die Orientierung sei auf dem Orinoko leichter gewesen als in dieser Stadt. Er dämpfte die Stimme. Im Polizeigefängnis trenne die Gendarmerie die Verhafteten nur nach ihrem Stand, die Personalien aber würden erst am nächsten Morgen von der geheimen Polizei aufgenommen. Wenn sie Vogt dazu brächten, den jungen Mann sofort heimzuschicken, würde keine Spur zurückbleiben.
Mit dem Jungen sei es hoffnungslos, sagte Gauß. Dieser Weber gefalle ihm besser.
Man könne es sich nicht aussuchen, sagte Humboldt.
Wahrscheinlich nicht, sagte Gauß und schwieg, bis die Kutsche hielt.
Sie gingen durch einen schmutzigen Hof, eine Treppe hinauf. Zweimal mußten sie stehenbleiben, damit Gauß wieder zu Atem kommen konnte. Sie erreichten den vierten Stock, Humboldt klopfte an die Wohnungstür. Ein blasser Mann mit gezwirbeltem Spitzbart öffnete. Er trug ein goldbesticktes Hemd, Samthosen und abgenutzte Pantoffeln.
Lorenzi, sagte er. Erst nach ein paar Sekunden verstanden sie, daß er sich vorgestellt hatte.
Humboldt fragte, ob der Gendarmeriekommandant hier sei.
Der sei hier, sagte Herr Lorenzi in stockendem Deutsch, und manch anderer auch. Wer aber hereinwolle, müsse in den Kreis treten.
Na gut, sagte Gauß.
Der Kreis dürfe nicht gebrochen werden, sagte Lorenzi, sollten Diesseits und Totenreich nicht durcheinanderkommen. Mit anderen Worten, es koste Geld.
Gauß schüttelte den Kopf, aber Humboldt steckte Lorenzi ein paar Goldmünzen zu, und dieser wich mit einer gewundenen Verbeugung zur Seite.
Der Flur war mit abgewetzten Teppichen ausgelegt. Durch eine halboffene Tür hörte man das Jammern einer Frauenstimme. Sie gingen hinein.
Nur eine einzige Kerze erhellte das Zimmer. Menschen saßen um einen runden Tisch. Das Jammern kam von einem etwa siebzehn Jahre alten Mädchen. Sie trug ein weißes Nachthemd, ihr Gesicht war verschwitzt, die Haare klebten ihr in der Stirn. Zu ihrer Linken saß mit geschlossenen Augen Gendarmeriekommandant Vogt. Neben ihm ein Mann mit Glatze, auch drei ältere Damen, eine Frau in Schwarz, mehrere Herren im dunklen Anzug. Das Mädchen rollte den Kopf und stöhnte. Humboldt wollte wieder hinausgehen, Gauß hielt ihn auf. Lorenzi rückte zwei Stühle heran. Zögernd setzten sie sich an den Tisch.
Und jetzt, sagte Lorenzi, müßten alle einander an den Händen nehmen!
Nie im Leben, sagte Humboldt.
Es sei doch nicht weiter schlimm, sagte Gauß und faßte Lorenzis Hand. Wenn man sie hinauswürfe, wäre ihnen auch nicht geholfen.
Nein, sagte Humboldt.
Sonst gehe es nicht, sagte Lorenzi.
Gauß seufzte und griff nach Humboldts linker Hand, zugleich packte die Frau auf der anderen Seite, sie war ungefähr sechzig und sah wie eine verwitterte Statue aus, die rechte. Humboldt erstarrte.
Das Mädchen warf den Kopf zurück und schrie. Von den Verrenkungen verrutschte ihr Nachthemd. Gauß betrachtete sie mit hochgezogenen Brauen. Ihr Körper fuhr in die Höhe, als wollte sie aufspringen, aber die zwei Männer neben ihr hielten sie fest; sie entblößte die Zähne, verdrehte die Augen, ruckte wimmernd hin und her. Sie habe König Salomon gesehen, ächzte sie, aber er habe nicht kommen wollen, jetzt kündige sich ein anderer an.
Er halte das nicht mehr aus, sagte Humboldt.
Das sei doch eigentlich ganz lustig, sagte Gauß. Und die Kleine sei nicht übel.
Sie schrie auf, eine Zuckung ließ ihren Körper nach hinten schnellen; hätten die Männer sie nicht festgehalten, wäre sie mit ihrem Stuhl umgekippt. Dann beruhigte sie sich, legte den Kopf schief und starrte auf die Tischplatte. Einer sei hier, sagte sie. Dem lasse sein Onkel ausrichten, alles sei verziehen. Ein Sohn erwarte seine Mutter. Weiter sehe sie Bonaparte, den Teufel in Menschengestalt, wie er in der Hölle brenne. Furchtbare Lästerungen stoße er aus und wolle nicht bereuen. Sie drehte horchend den Kopf. Ihr Nachthemd stand bis unter die Brust offen. Ihre Haut glänzte feucht. Von einem anderen erblicke sie den Bruder, er sage, sein Tod sei natürlich und in der Ordnung gewesen, man solle nicht mehr nachforschen. Von einem anderen die Mutter. Sie

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