Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Titel: Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dfg
Vom Netzwerk:
Schritte kontrollieren wollen. Doch falls man ihn für schwach und nachgiebig halte, habe man sich geirrt. Von Indien hätten sie ihn ferngehalten. Nach Rußland werde er gehen.
Experimentalphysik, sagte Gauß. Das sei etwas Neues. Darüber müsse er nachdenken.
Mit etwas Glück, sagte Humboldt, könne er bis nach China kommen.

Die Steppe 

    Was, meine Damen und Herren, ist der Tod? Im Grunde nicht erst das Verlöschen und die Sekunden des Übergangs, sondern schon das lange Nachlassen davor, jene sich über Jahre dehnende Erschlaffung; die Zeit, in der ein Mensch noch da ist und zugleich nicht mehr und in der er, ist auch seine Größe lange dahin, noch vorgeben kann, es gäbe ihn. So umsichtig, meine Damen und Herren, hat die Natur unser Sterben eingerichtet! Als der Applaus zu Ende war, hatte Humboldt das Podium schon verlassen. Vor der Singakademie wartete eine Kutsche, die ihn ans Krankenbett seiner Schwägerin brachte. Sie ließ leise und ohne Schmerzen nach, halb im Schlaf und halb dämmernd, Öffnete nur noch einmal die Augen, sah zunächst Humboldt an und dann, leicht erschrocken, ihren Ehemann, als fiele es ihr schwer, die beiden zu unterscheiden. Sekunden später war sie tot. Danach saßen die Brüder einander gegenüber, Humboldt hielt die Hand des Älteren, weil er wußte, daß die Situation das verlangte; aber für einige Zeit vergaßen sie völlig, geradezusitzen und klassische Dinge zu sagen. Ob er sich noch an den Abend erinnere, fragte der Ältere schließlich, als sie die Geschichte von Aguirre gelesen hätten und er beschlossen habe, zum Orinoko zu ziehen? Das Datum sei für die Nachwelt bezeugt! Natürlich erinnere er sich, sagte Humboldt. Aber er glaube nicht mehr, daß es die Nachwelt interessieren werde, er zweifle auch an der Bedeutung der Flußreise selbst. Der Kanal habe keine Wohlfahrt für den Kontinent gebracht, er liege verlassen und unter Mückenwolken wie je, Bonpland habe recht gehabt. Wenigstens sei ihm das Leben ohne Langeweile vergangen. Ihm habe Langeweile nie etwas ausgemacht, sagte der Ältere. Nur allein habe er nicht sein wollen.
Er sei immer allein gewesen, sagte Humboldt, vor der Langeweile aber habe er Todesangst.
Er habe sehr darunter gelitten, sagte der Ältere, daß er nie Kanzler geworden sei, Hardenberg habe es verhindert, dabei sei es ihm doch bestimmt gewesen!
Niemand, sagte Humboldt, habe eine Bestimmung. Man entschließe sich nur, eine vorzutäuschen, bis man es irgendwann selbst glaube. Doch so vieles passe nicht dazu, man müsse sich entsetzliche Gewalt antun.
Der Ältere lehnte sich zurück und sah ihn lange an. Immer noch die Knaben?
Das hast du gewußt?
Immer.
Lange sprach keiner von ihnen, dann stand Humboldt auf, und sie umarmten einander so förmlich wie stets.
Sehen wir uns wieder?
Sicher. Im Fleische oder im Licht.
In der Akademie warteten seine Reisebegleiter, der Zoologe Ehrenberg und der Mineraloge Rose. Ehrenberg war klein, dick und spitzbärtig, Rose war über zwei Meter groß und schien stets feuchte Haare zu haben. Beide trugen dicke Brillen. Der Hof hatte sie Humboldt als Assistenten beigegeben. Gemeinsam überprüften sie die Ausrüstung: das Cyanometer, das Teleskop und die Leydener Flasche von seiner Tropenreise, eine englische Uhr, die genauer ging als die alte französische, und für die Magnetmessungen ein besseres Inklinatorium, angefertigt von Gambey persönlich, sowie ein eisenfreies Zelt. Dann fuhr Humboldt ins Charlottenburger Schloß.
Er begrüße diese Reise ins Reich seines Schwiegersohns, sagte Friedrich Wilhelm schwerfällig. Darum ernenne er Kammerherrn Humboldt zum Wirklichen Geheimen Rat, der von nun an mit Exzellenz anzusprechen sei.
Humboldt mußte sich abwenden, so stark war seine Bewegung.
Was ist Ihnen, Alexander?
Es sei nur, sagte Humboldt schnell, wegen des Todes seiner Schwägerin.
Er kenne Rußland, sagte der König, er kenne auch Humboldts Ruf. Er wünsche keine Beschwerden! Es sei nicht nötig, über jeden unglücklichen Bauern in Tränen auszubrechen.
Er habe es dem Zaren versichert, sagte Humboldt in einem Ton, als hätte er es auswendig gelernt. Er werde sich mit der unbelebten Natur befassen, die Verhältnisse der unteren Volksklassen aber nicht studieren. Diesen Satz hatte er bereits zweimal an den Zaren und dreimal an preußische Hofbeamte geschrieben.
Daheim lagen zwei Briefe. Einer des älteren Bruders, der sich für Besuch und Beistand bedankte. Ob wir uns wiedersehen oder nicht, jetzt sind es wieder, wie

Weitere Kostenlose Bücher