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Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Titel: Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jojox
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behandeln. Du weißt gar nicht, wie gut du's hast. «
    Meine Gedanken verschwimmen. Alles, was ich in meinem Kopf hören kann, ist: »wie gut du's hast ... wie gut du's hast
    ... wie gut du's hast« - immer und immer wieder. Ich zittere, als Vater die Fahrertür des Kombiwagens zuknallt. Er atmet tief aus, ehe er sich zu mir herüberbeugt. »Herrje, David«, beginnt er, als er das Auto anlässt und das Gaspedal drückt,
    »was hast du dir dabei nur gedacht?! Kannst du dir überhaupt vorstellen, was du da getan hast? Weißt du, was deine Mutter deinetwegen durchgemacht hat?«
    Mit einem Ruck dreht sich mein Kopf zu Vater hin. » Was sie durchgemacht hat? Und ich? Macht sich denn niemand 32

    Gedanken um mich? «, sage ich zu mir selbst. »Aber ...
    vielleicht hat sie ja wirklich einen Zusammenbruch gehabt.
    Vielleicht macht sie sich ja jetzt wirklich Sorgen um mich.
    Vielleicht weiß sie ja, dass sie zu weit gegangen ist. « Einen Augenblick lang kann ich mir vorstellen, dass Mutter in Vaters Armen schluchzt und sich fragt, wo ich bin, ob ich noch lebe. Dann kann ich im Geiste sehen, wie meine Mama mit Tränen in den Augen auf mich zuläuft, wie sie mich liebevoll umarmt und mit Küssen überhäuft, während ihr die Tränen über die Wangen laufen. Ich kann fast hören, wie meine Mama jene drei Worte sagt, die mir mehr als alles

    andere bedeuten und die ich so gerne von ihr hören würde.
    Und ich werde bereit sein, ihr mit den vier bedeutsamsten Wörtern zu antworten, die ich ihr sagen kann: Ich liebe dich auch!
    »David!« Vater packt mich am Arm. Ich springe auf und stoße meinen Kopf am Wagendach. » Hast du überhaupt eine Vorstellung davon, was deine Mutter getan hat? Nicht einen Augenblick kann ich zu Hause Ruhe finden. Um Himmels willen, seit du weg bist, war es zu Hause die reinste Hölle. Mein Gott, kannst du dich denn nicht ein einziges Mal aus den Problemen heraushalten? Kannst du nicht ein einziges Mal versuchen, sie glücklich zu machen? Komm ihr einfach nicht in die Quere und tu, was sie von dir verlangt.
    Kannst du das? Kannst du das für mich tun? Ja? «, schreit Vater mich an, so laut, dass es mir kalt den Rücken herunterläuft.
    Langsam nicke ich mit dem Kopf. Ich wage nicht, einen Laut von mir zu geben, als ich tief in meinem Innern weine.
    Ich weiß, dass ich im Unrecht bin. Und wie immer ist alles meine Schuld. Ich drehe mich zu Vater hin, während sich 33

    mein Kopf auf und ab bewegt. Er streicht mir mit der Hand über den Kopf.
    »Schon gut«, sagt er leiser. »Schon gut. So kenne ich meinen Tiger. Jetzt wollen wir nach Hause fahren. «
    Als Vater dieselbe Straße hinauffährt, die ich vor einiger Zeit hinabgelaufen bin, sitze ich ganz weit weg von ihm und presse das Gewicht meines Körpers gegen die Beifahrertür.
    Ich fühle mich wie ein gefangenes Tier, das sich durch das Glas einen Weg in die Freiheit bahnen will. Je näher wir dem
    >Zuhause< kommen, desto mehr kann ich spüren, wie ich innerlich zittere. Ich muss aufs Klo. »Zuhause«, sage ich zu mir selbst. Ich starre auf meine Hände. Meine Finger zittern vor Angst. Ich weiß, dass ich in ein paar Augenblicken dort zurück sein werde, wo alles anfing. Insgesamt ist überhaupt nichts anders geworden, und ich weiß, dass sich auch nie etwas ändern wird. Ich wünschte, ich wäre irgendjemand, irgendjemand anders als ich bin. Ich wünschte, ich hätte ein Leben, eine Familie, ein Zuhause.
    Vater fährt in die Garage. Ehe er seine Autotür öffnet, dreht er sich zu mir hin. »So, da sind wir«, sagt er mit falschem Lächeln. » Wir sind wieder zu Hause. «
    Ich sehe durch ihn hindurch und hoffe, bete darum, dass er meine Angst spüren kann - die Angst, die aus meinem Innern kommt. »Zu Hause?«, sage ich zu mir selbst.
    Ich habe kein Zuhause.

    34

2. KAPITEL
35

    Ein Engel namens Ms. Gold

    Am 5. März 1973 wurden meine Gebete endlich erhört. Ich wurde gerettet. Meine Lehrer und andere Mitarbeiter der Thomas-Edison-Grundschule schritten ein und benachrichtigten die Polizei.
    Alles geschah in Windeseile. Ich heulte Rotz und Wasser, als ich mich von meinen Lehrern endgültig verabschiedete. Irgendwie wusste ich, dass ich sie nie wieder sehen würde. An den Tränen in ihren Augen 36

    konnte ich erkennen, dass sie die Wahrheit kannten, dass sie wussten, was wirklich mit mir los war. Warum ich so anders war als die anderen Kinder; warum ich stank und in Lumpen gekleidet war; warum ich in Mülleimer kletterte, um nach Essensresten zu

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