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Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Titel: Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jojox
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treffen.
    Und am nächsten Tag könnte ich John dann einfach sagen, ich hätte es vergessen.
    Als an jenem Nachmittag die Schulglocke läutete, klappte ich mein Schulpult auf, so als würde ich hektisch nach etwas suchen. Ich hörte an den Fußgeräuschen, wie

    die Kinder den Klassenraum verließen. Als ich das Gefühl hatte, nunmehr sicher zu sein, machte ich langsam die Klappe meines Pultes zu ... und sah auf einmal John vor mir stehen. Ich seufzte und akzeptierte, dass ich nun wohl oder übel mit ihm gehen musste.
    John schlug den Kragen seiner schwarzen Vinyljacke hoch. Auf dem Parkplatz zappelten Johns Freunde beide vor Aufregung, obwohl sie sich alle Mühe gaben, cool zu wirken.

    160

    »Also, ich hab's«, brüstete sich John. »Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass der Neue gut genug ist, um Mitglied unserer Bande zu werden. Er wird die Luft aus den Reifen von Mr. Smiths neuem Auto ablassen. Und ich meine dabei den Plural von Reifen, zwei oder mehr«, sagte er und sah mir direkt in die Augen. »Dann kann Smith sich nicht mit dem Reserverad behelfen.
    Ganz schön schlau, nicht?«, meinte John lachend.
    Ich wandte mich ab. Schon wenn ich Süßigkeiten oder Spielsachen stahl, wusste ich, dass das nicht richtig war. Doch ich hatte mich noch nie zuvor am persönlichen Eigentum eines anderen vergriffen. Und ich wollte diesen Schritt auch jetzt nicht tun. Als ich spürte, wie mich die anderen anstarrten, schluckte ich heftig. »Mensch, John ... ich glaube, wir sollten das nicht ... «
    John wurde rot im Gesicht und boxte mich auf den Arm. »Hey, du, hast du nicht gesagt, dass du mein Freund sein willst und dass du Mitglied meiner Bande werden willst? Hast du das nicht gesagt?«
    Sie begannen mich einzukreisen. Die beiden anderen Jungen nickten zustimmend.
    »Also gut, Mann! In Ordnung. Ich mach's. Aber dann bin ich Mitglied der Bande und muss nie wieder so was machen. Abgemacht?«, sagte ich mit brüchiger Stimme. Die Angst machte meine Bemühungen, wie ein harter Bursche zu klingen, zunichte.
    John schlug mir mit der Hand auf den Rücken. »Na, siehste. Hab' ich doch gleich gesagt, der Junge ist in Ordnung. «
    Angespannt kniff ich die Augen zusammen und wurde innerlich ganz kalt. »Auf geht's!«, sagte ich mit meiner neuen Machostimme.

    161

    John führte mich zu einer nagelneuen hellgelben Li-mousine und nickte mir zu, bevor er sich vom Tatort entfernte. Die beiden anderen Jungen kicherten, als sie ihrem Anführer folgten.
    Ich atmete tief durch und kniete mich hin. Ich konnte immer noch nicht glauben, was ich da jetzt tun wollte.
    Ich spürte, wie mein Herz raste. Ich wollte aufstehen und weglaufen, schüttelte den Gedanken aber wieder ab. »Na los! «, schrie ich mich innerlich an. »Nun mach schon! Los! «
    Ich prüfte genau, ob die Luft rein war, und versuchte dann, den Nippel des ersten Reifenventils abzudrehen.
    Nach ein paar Sekunden begannen meine Finger zu zittern, und der Gumminippel war immer noch nicht ab.
    Ich hatte ein Gefühl, als wären alle Augen auf mich gerichtet. Die Geräusche der von anderen Fahrern zugeschlagenen Autotüren hallten über meinem Kopf wider.
    Schließlich fiel der schwarze Nippel zu Boden. Sofort holte ich einen Bleistift aus meiner Gesäßtasche. Ich wandte mich um - und sah John in die Augen. Sein Gesicht war angespannt, und seine hochgezogenen Augenbrauen signalisierten mir, wie enttäuscht er von meiner Leistung war. Dann kommandierte er: »Na los, beeil dich!«

    Nach einem schnellen Atemzug drückte ich das Blei-stiftende fest in das Ventil. Explosionsartig entwich die Luft aus der winzigen Öffnung. Ich wusste, dass alle hören konnten, was ich tat, und zögerte eine Sekunde.
    Ich suchte nach John. Doch der forderte mich durch Zunicken auf weiterzumachen. Von Angst übermannt 162

    schrie ich mir innerlich zu: »Nein! Das ist total verkehrt!« Entschlossen steckte ich meinen Bleistift ein, stand auf und ging an John vorbei, der mich zwingen wollte, die Aufgabe zu Ende zu erledigen. Aber ich bahnte mir meinen Weg an ihm vorbei und verließ den Parkplatz. John und seine Gang hänselten und verhöhnten mich auf dem ganzen Weg, bis sie endlich an der Ecke zu Johns Haus abbogen.
    Am nächsten Tag gingen Johns Schikanen und Belästigungen weiter. Auf dem Schulhof schubste er mich ohne Warnung zu Boden. Als ich aufstand, bildete sich ein kleiner Kreis. »Schlagt euch! Schlagt euch!«, skandierten sie. Mit heruntergezogenem Kopf versuchte ich den Durchbruch durch die Menge.

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