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Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

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Titel: Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jojox
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mal seine Klamotten und seine Schuhe an! Der sieht ja so aus, als würde ihn seine Mama noch anziehn oder so. Das ist ja'n ganz komischer Vogel! «
    Ohne nachzudenken, breitete ich meine Arme aus und untersuchte meine Kleidung. Ich war stolz auf mein blaues Hemd. Meine Hose hatte auf beiden Hosenbeinen Knieschützer, und meine Keds-Turnschuhe waren ein wenig abgewetzt. Aber für meine Begriffe waren sie noch ganz neu. Nach dieser Selbstinspektion sah ich mir die anderen Jungen genauer an, die allesamt bessere Sachen und aus-gefallenere Schuhe anzuhaben schienen. Einige von ihnen trugen dicke schwarze Rollkragenpullover. Als 157

    ich mich daraufhin erneut selbst ansah, schämte ich mich. Aber ich wusste eigentlich nicht, warum.
    In der Klasse wurde ich zum Nervenbündel, wann immer mich der Lehrer aufrief. Manchmal stotterte ich sogar vor allen Mitschülern. Dann machten mich die Football-Jungen nach, wenn ich mich wieder hinsetzte.
    Ich versuchte, mich vor ihren gehässigen Bemerkungen zu verstecken. Im Englischunterricht schrieb ich in meinen Aufsätzen immer Geschichten, die davon handelten, wie meine Brüder und ich getrennt worden waren und darum kämpften, wieder
    zusammenzufinden. Auch in meinen Zeichnungen waren meine Brüder und ich entweder durch tiefes dunkles Wasser getrennt oder durch schwarze zackige Klippen. Für jede Zeichnung lieh ich mir die Wachsmalstifte meiner Lehrerin aus und zeichnete damit auf alle Gesichter ein breites Lächeln. Über meinen vier Brüdern und mir schien immer ein riesiges glückliches Sonnengesicht.

    Einmal hänselten mich einige der Football-Jungen auf dem Nachhauseweg, weil ich immer noch mit Wachs-malstiften malte. Für mein Leben gern hätte ich ihnen Kontra gegeben, aber ich wusste, dass ich auch diese Antwort wahrscheinlich vermasseln würde. Also rannte ich beleidigt fort.
    Bald darauf begegnete ich einem anderen Jungen aus meiner Klasse. Er hieß John und war wie ich ein Außenseiter. Er hatte langes, ungepflegtes schwarzes Haar und trug dünne, abgetragene Sachen. John hatte eine Art zu gehen, die ihn von allen anderen abhob.

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    Und plötzlich fiel mir auf, dass ihn, wie es schien, niemand deswegen hänselte. Als ich zu ihm hinrannte, sah ich, dass er eine Zigarette in der Hand hatte.
    »Hey«, sagte John, »du bist also der Neue auf der Schule?«
    »Ja«, erwiderte ich und begann, Stolz zu empfinden, als wir zusammen weitergingen.
    »Mach dir bloß keine Sorgen wegen der Kerle da«, sagte John, hinter sich weisend. »Ich weiß selbst, was es heißt, das bepickte Huhn zu sein. Mein Alter hat meine Mutter und mich immer geschlagen. Aber jetzt wohnt er nicht mehr bei uns.« Ich passte mich schnell an seine raubauzige Einstellung an. John erklärte mir weiter, dass seine Eltern frisch geschieden seien und dass seine Mutter jetzt ganztags arbeiten müsse, um seine Brüder und ihn durchzubringen. Ich fühlte mich elend. An der Ecke verabschiedeten wir uns. Als ich die Straße zu Lilians Haus hinaufging, erinnerte mich ein altes, kaltes Gefühl daran, wie sehr ich mich früher davor gefürchtet hatte, von der Schule nach Hause zu gehen.
    Am nächsten Tag traf ich John in der Pause auf dem Schulhof. Er schien äußerst wütend darüber zu sein, dass unser Lehrer ihn vor der ganzen Klasse ausgeschimpft hatte, weil er seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte. John brüstete sich vor seinen beiden anderen Freunden und vor mir damit, dass er sich an diesem Lehrer schon noch rächen werde. Er schien seine Worte sehr vorsichtig zu wählen, als ich mich näher zu ihm hin beugte, um mehr über seinen Plan zu hören.
    »Hey, Mann, du wirst mich doch nicht verpetzen, oder?«

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    »Niemals!«, versicherte ich ihm.
    »Na gut. Weißt du, du musst Mitglied meiner Bande sein, damit du mit mir gehen kannst. Ich mach' dir einen Vorschlag. Wir treffen uns nach der Schule auf dem Parkplatz. Dann erzähl' ich dir von meinem Plan.«
    Ich nahm Johns Herausforderung an, obgleich ich wusste, dass ich in Schwierigkeiten geraten würde. In der Klasse gab sich John immer als ganz harter Bursche; selbst die reichen Football-Jungen gingen ihm aus dem Weg. In meinen Tagträumen in der Klasse dachte ich an jenem Tag bestimmt tausendmal darüber nach, wie ich am besten kneifen könnte. Ich sagte mir, ich würde, wenn die Glocke am Ende des Schultages läutete, einfach zurückbleiben und als Letzter den Klassenraum verlassen. Dann würde ich mich am Parkplatz vorbeistehlen, um die Jungen nicht zu

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