Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc
High School, brüsteten sich einige reiche Kinder mit ihrem bevorstehenden Abschluss und mit ihren Plänen für Reisen nach Disneyland oder nach Hawaii - erster Klasse natürlich.
241
Doch anstatt mich nun selbst zu bemitleiden, rannte ich an diesem Nachmittag von der Bushaltestelle nach Hause und riss beinahe Alices Verandatür aus den Angeln, so stürmisch war ich. »Was ist denn nun los?«, schrie Alice.
Ich stürzte erst einmal ein Glas Wasser herunter, ehe ich antworten konnte. Ich wurde jetzt bald 16 und konnte immer noch nicht kochen. Alice versicherte, das würde sie mir schon noch beizeiten beibringen. Aber ich ließ nicht locker. Nein, jetzt wollte ich kochen lernen. Ich blickte sie ganz ernst an, so wie ich es von Mrs.
Catanze gelernt hatte, die dabei immer ihre Hände in die Hüften gestemmt hatte. Und es funktionierte.
Obwohl Alice gerade für ihre in wenigen Stunden bevorstehende Bridge-Party alles aufgeräumt und sauber gemacht hatte, beschloss sie, mir beizubringen, wie man Pfannkuchen zubereitet.
Doch damit hatte sich Alice wirklich etwas eingebrockt. In Windeseile verbrauchte ich zwei Packungen Pfannkuchen-Backmischung, vier Dutzend Eier und fast zehn Liter Milch. Jeder Quadratzentimeter des Gasherdes war mit der dicken, weißen, klebrigen Masse bedeckt, und an der Küchendecke fanden sich mehr als genug Spuren von einigen in bester Absicht zum Wenden hochgeschleuderten Pfannkuchen. Auf dem Fußboden sah es aus, als wäre ein Schneesturm durch die Küche gefegt, und jedesmal, wenn Alice oder ich die Füße bewegten, erstickten wir fast in den Wolken aufgewirbelten Mehlstaubs. Der Stress zeigte sich deutlich in Alices Gesicht, aber wir lachten beide -
und ich gab erst auf, als mir der perfekte Pfannkuchen gelungen war.
Jeder Tag schien neue Abenteuer bereit zu halten.
Manchmal spielte ich nach der Schule auf dem Wohn-242
zimmerboden mit meinen Legos oder mit meinem Stabilbaukasten, ein andermal war ich der kleine Erwachsene, der nach der Schule nur schnell nach Hause kam, um sich umzuziehen, ehe er wieder lossauste - zur Arbeit, in einem meiner diversen Jobs.
Erstmals führte ich ein eigenes Leben.
Doch im Juli 1976 nahm mein Leben abermals eine Wende. Ich hatte einfach keine Lust mehr, schon früh-morgens zur Arbeit zu radeln, während alle anderen noch schliefen. Und als ich eines Nachmittags nach einem frustrierenden Arbeitstag nach Hause kam, musste ich feststellen, dass nicht nur ein neuer älterer Junge als Pflegekind eingezogen war, sondern gleich zwei. Einen der beiden, Bruce, mochte ich von Anfang an nicht - weil ich mit ihm ein Zimmer teilen musste, aber auch weil ich wusste, dass er damit durchkam, Alice hinters Licht zu führen. Obwohl beide Jungen schon 17 waren, schienen sie sich nicht gerade intensiv darum zu kümmern, wie sie für sich selbst sorgen könnten. So entwickelte ich gegen beide einen starken Widerwillen. Wann immer ich zur Arbeit radelte, verbrachten sie den Tag mit Alice im Einkaufszentrum.
Auf seltsame Weise fühlte ich mich durch ihre Gegenwart bedroht und verletzt. Ich wusste, dass meine Kindheit bei Alice nun vorbei war, aber ich hätte sie gern noch ein wenig verlängert, ehe ich endgültig erwachsen werden musste.
Nach ein paar Wochen entdeckte ich, dass mein erspartes Geld und auch einige der Dinge verschwunden waren, die ich mir von meinem Geld gekauft hatte. Zuerst dachte ich, ich hätte meine Sachen verlegt, aber eines Tages hatte ich dann ohne besonderen äußeren Anlass genug. Ich marschierte zu Alice und verlangte, dass die beiden gehen müssten.
243
Sonst würde ich selbst ausziehen. Ich wusste, dass ich wie ein verwöhntes Kind klang, aber ich konnte es einfach nicht länger aushalten, dass ich meine Sachen ständig verstecken und bei der Arbeit immer daran denken musste, wie ich das gestohlene Geld wieder hereinholen könnte. Alles, wofür ich so hart gearbeitet hatte, verschwand langsam. Ich hoffte, dass Alice nachgeben würde, aber ich musste bald feststellen, dass ich derjenige war, der seine Sachen packen musste. Ich kam mir vollkommen blöd vor, dass ich ausgerechnet die Turnboughs verließ, aber für mich war das eine Frage der Ehre - wenn ich so etwas gesagt hatte, dann war es auch meine Sache, dafür zu sorgen, dass es keine leeren Worte blieben.
Für ein paar Wochen zog ich freiwillig wieder im Jugendgefängnis ein, bis Mrs. O'Ryan, meine neue Bewährungshelferin, mich bei John und Linda Walsh unterbrachte, einem jungen
Weitere Kostenlose Bücher