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Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Titel: Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jojox
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sein, obwohl die Filmhandlungen oft recht einfältig waren. Komplexe Drehbücher faszinierten mich; ich achtete dann immer darauf, wie der Regisseur alle Einzelheiten zusammengefügt hatte.
    Und nach jedem Film betätigten sich Alice und ich munter als Filmkritiker.
    Manchmal kaufte sie mir ohne besonderen Grund Spielzeug, »einfach so«. Zuerst war mir das peinlich und ich fühlte mich unwürdig, zum Teil, weil ich es einfach nicht gewohnt war, Geschenke zu bekommen, aber auch weil ich wusste, wie schwer Harold arbeiten musste und dass er eisern sparte. Im Laufe der Zeit lernte ich aber, Geschenke anzunehmen - obwohl mir diese Lektion sehr schwer fiel.
    Das wichtigste Geschenk, das mir die Turnboughs machten, war allerdings, dass sie mir zum letztmöglichen Zeitpunkt in meinem Leben die Chance gaben, Kind zu sein, während sie mich gleichzeitig auf mein Leben als Erwachsener vorbereiteten. Um Alice und Harold zu zeigen, wie viel sie mir bedeuteten, zog ich eines Nachmittags, als wir um den Küchentisch saßen - den berühmten »Runden Tisch« -, ein fleckiges, zerschlissenes Stück Papier aus meiner Hosentasche und zerriss es in winzige Fetzen. »Na, was soll das denn jetzt?«, grummelte Harold, während Alice die Tränen kamen.

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    »Ich brauche den Zettel jetzt nicht mehr«, verkündete ich stolz. »Und eure Telefonnummer weiß ich auch.
    Wollt ihr sie hören?« Alice nickte zustimmend mit dem Kopf.
    »Sie lautet 555-2647«, sagte ich stolz und sah Harold dabei direkt in seine blauen Augen.
    »Na, dann müssen wir uns jetzt wohl eine Geheimnummer besorgen«, brummte er, bevor er mir mit den Augen zuzwinkerte.
    Wann immer Alice und ich länger miteinander redeten, kamen wir natürlich auch auf meine Zukunft zu sprechen. Selbst die einfache Frage »Was willst du denn mal werden, wenn du erwachsen bist, David?«
    versetzte mich aus tiefster Seele in Angst und Schrecken. Dann musste ich immer an Chris denken, das behinderte Pflegekind der Catanzes, und welche Angst er davor hatte, 18 zu werden. So weit hatte ich noch nie vorausgedacht. Um Mutters Folterqualen zu überleben, konnte ich nur von Stunde zu Stunde planen, höchstens von Tag zu Tag. In der offenen, weiten Welt ganz allein zu sein, war das Beängstigendste, was ich mir überhaupt vorstellen konnte. Dann wurde ich so verängstigt und angespannt, dass ich wieder zu stottern begann. Alice gab sich dann immer Mühe, mich zu beruhigen, doch nachts, allein in meinem eigenen Zimmer (als ich ein solches schließlich bekommen hatte), zitterte ich vor Angst bei dem Gedanken, wie ich es nur schaffen sollte, mich selbst zu versorgen oder mir eine eigene Wohnung zu suchen. Ich dachte dann so heftig darüber nach, dass ich mit schlimmen Kopfschmerzen einschlief. Für mich, der ich jetzt 15 war, begann allmählich der Countdown.
    Schon bald nachdem sich der anfängliche Schock gelegt hatte, beschloss ich, nach Wegen zu suchen, 240

    wie ich Geld verdienen könnte. Ich begann, Schuhe zu putzen. Schon an meinem ersten Tag verdiente ich 21
    Dollar, nachdem ich in weniger als sechs Stunden Dutzende von Schuhen gewienert hatte. Ich fühlte mich blendend und war sehr stolz, als ich in der einen Hand meine Schuhputzsachen und eine Packung Doughnuts balancierte und in der anderen einen Blumenstrauß für Alice und einige Taschenbücher für Harold. Bald nahm ich zusätzlich einen Job in einem Uhrmacherladen an, wo ich ungefähr zwanzig Wochenstunden arbeitete.
    Dafür bekam ich 10,25 Dollar netto. Aber das Geld war mir gar nicht so wichtig. Dafür konnte ich aber am Ende einer Arbeitswoche mit dem Bewusstsein einschlafen, dass ich etwas geleistet hatte. Das zählte. Während andere Kinder auf der Straße Fußball spielten oder in Einkaufszentren herumhingen, konnte ich in zunehmendem Maße für mich selbst sorgen.
    Es fiel mir sehr schwer, irgendwelche Gemeinsamkei-ten mit den anderen Kindern in der Schule zu entdecken. Die meisten von ihnen gaben sich alle Mühe, die anderen durch ihr Cool-Sein zu beeindrucken. Ich wusste, dass ich äußerlich nicht zu ihnen passte, also versuchte ich es auch gar nicht mehr. Manchmal spielte ich die Rolle des Klas-senclowns, doch meistens kümmerte ich mich gar nicht darum, was meine Klassenkameraden von mir hielten.
    Immer wenn sie mit ihren Wochenend-Skitrips angaben, dachte ich darüber nach, wie ich noch eine weitere Stunde Arbeitszeit ermöglichen könnte.
    Eines Freitags, wenige Wochen vor meinem Schulabschluss an der Parkside junior

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