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Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Titel: Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jojox
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nützliche Glieder unserer Gemeinschaft sind, statt in irgendeinem Gefängnis zu verkommen?
    Das »System« mag zwar nicht perfekt sein, aber es funktioniert tatsächlich. Meiner Einschätzung nach wird das »System« auch nie perfekt sein können - denn die Gesellschaft verlangt einfach zu viel. Viele von uns schauen auf das »System« und verlangen, dass »man«
    unsere Probleme löst - und zwar zu unserer Zufriedenheit und sofort.
    Vielleicht kann aber auch die Gesellschaft - nicht nur die Jaycees und das Arrow Project - denen, die auf diesem Gebiet tätig sind, einige ihrer Frustrationen nehmen. Vielleicht können wir einem Lehrer einfach mal ein Dankeskärtchen schicken, nur so, oder einer Sozialarbeiterin einen kleinen Blumenstrauß mitnehmen. Vielleicht können wir, wenn wir das nächste Mal einem Polizisten begegnen, einfach mal lächeln und freundlich winken. Vielleicht können wir eine Pflegefamilie einfach mal zur Pizza einladen. Wenn wir Unterhaltungs- und Sportstars wie Geschenke der Götter dankbar verehren, warum können wir dann nicht auch all jenen, die in unserer Gemeinschaft solche 288

    eigentlich unbezahlbaren Dienste verrichten, ein wenig von unserer Dankbarkeit zeigen?
    Doch sosehr dieses Buch dem Leser auch einen Blick hinter die Kulissen gewährt, sein Hauptthema ist und bleibt jenes Kind, das anscheinend von einem anderen Planeten kommt. Manche Leute glauben vielleicht, dass die Probleme Minderjähriger umgehend verschwunden seien, sobald diese Kinder aus ihrer bedrohlichen Umgebung herausgeholt sind. Aber in Wirklichkeit beginnen die Probleme dann erst richtig. Wie so viele andere Kinder, die in das System der Jugendfürsorge geraten, wuchs ich in einer gewalttätigen, durch extreme Kontrollen bestimmten Umgebung auf. Daraus ergab sich bei mir gleich ein doppeltes Problem: erstens die Notwendigkeit, meine scheußliche Vergangenheit in meinem Denken und Handeln zu deprogrammieren, und zweitens die Notwendigkeit, mich durch Anleitung und Vorbild in die normale Gesellschaft zu integrieren.
    In vielerlei Hinsicht hatte ich großes Glück. Ich war in der Lage, meine düstere Vergangenheit dafür nutzen zu können, mich in eine hellere Zukunft voranzutreiben.
    Doch wie so viele andere verlorene Kinder merkte ich am Anfang einfach nicht, dass ich dieselben Techniken, die mir früher dabei geholfen hatten, Misshandlungen zu überleben, auch anwenden konnte, um in der realen Welt besser zurechtzukommen. Im Allgemeinen sind Pflegekinder viel reifer und widerstandsfähiger, denken sie viel konzentrierter an ihre eigene Zukunft als Kinder, die in normalen Familien aufgewachsen sind, weil Pflegekinder sich schon in einem viel früheren Alter an ihre Umwelt anpassen mussten. (Das Schlüsselwort heißt Anpassung, nicht Aufgabe!) Die meisten Pflegekinder sitzen nicht einfach da und warten darauf, 289

    dass ihnen ihre Zukunft auf einem silbernen Tablett serviert wird, sondern sie verlassen sich auf ihre eigenen Kräfte. Auch ich hätte durch die Maschen fallen können und dann meine gescheiterte Zukunft meiner schlimmen Vergangenheit zurechnen können- wenn man mich nicht richtig geführt und mir keine Liebe geschenkt hätte. Der größte Einzelfehler, den ich je gemacht habe, war, dass ich vorzeitig von der High School abgegangen bin. Doch wie die meisten Pflegekinder hatte auch ich mich in der Schule erst einmal anzupassen und Schwierigkeiten zu über-winden. Dabei fehlte mir einfach die Ausdauer. Als ich nach dem Schulabbruch einer ganz anderen, erfolgsorientierten Welt ausgesetzt war, erkannte ich deutlich: Um etwas zu erreichen, muss man es auch wirklich wollen.
    Das Leben in Pflegefamilien war zwar manchmal frustrierend, aber so bekam ich auch die Chance, zu sehen, wie andere Familien lebten. Wie viele andere Pflegekinder wusste ich nicht, wie gut ich's hatte, bis ich auf eigenen Füßen stand und allein für mich sorgen musste. Pflegekinder vergessen ihre Pflegeeltern nie.
    Auch ich nicht. Wie manch anderer bedaure ich einiges.
    Zum Beispiel, dass Harold Turnbough nicht mehr erleben durfte, dass ich einen eigenen Sohn bekam: Stephen. Ebenso bedaure ich, dass ich Harold mein erstes Buch nicht mehr überreichen konnte - eines, das für den Pulitzerpreis nominiert wurde. Doch heute lebt Alice Turnbough nur ein paar Autostunden von meinem Haus entfernt. Das höchste Kompliment, das ich meiner Pflegemutter machen kann, ist, dass sie die Großmutter meines Sohnes ist. Darin zeigt sich, wie viel mir das

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