Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc
zehnten - mit seiner Energie und seiner Direktheit ein Ausnahmeschüler. Zu seinem Erfolg kann man ihn nur beglückwünschen.
Carl Miguel
Leitender Bewährungshelfer
Dave Pelzer, ein schwer misshandeltes Kind, wurde 1974 in das Jugendgefängnis San Mateo County Juvenile Hall eingewiesen. Aufgrund der Vorgeschichte wurde Daves Fall sofort von einem Mitarbeiterteam begutachtet, dem unter anderen ein Arzt, ein Psychologe und ein Aufseher angehörten. Man beschloss, David im C-Flügel unterzubringen, einer Abteilung für Kinder, die unter körperlichen oder psychischen Misshandlungen oder sexuellem Missbrauch litten. In dieser Spezialabteilung gab es ein insgesamt sehr gutes Zahlenverhältnis zwischen Betreuern und Kindern sowie ein Programm mit einem hohen Anteil an Einzelkonsultationen.
Nach der Begutachtung von Davids Fall durch das Personal des C-Flügels wurde er mir für die Zeit seines Aufenthalts zur Betreuung zugeteilt. Auf individuelle Zuwendung und auf das
Verhaltensänderungsprogramm unserer Abteilung reagierte er ausgesprochen positiv. Er konnte zu allen Mitarbeitern eine persönliche Beziehung aufbauen und stellte sozial wie emotional ein phänomenales Wachs-297
tum unter Beweis. Dave kam mit dem System der Jugendgerichtsbarkeit zu einem Zeitpunkt in Berührung, als genügend Ressourcen zur Verfügung standen, um sich ganzauf den Einzelnen zu konzentrieren.
Dave verließ San Mateo Juvenile Hall in einem wesentlich gesünderen Zustand, als er gekommen war.
1989, 15 Jahre nach seiner Entlassung, trafen Dave und ich uns auf sehr ungewöhnliche Weise wieder. Ich war damals Anstaltsleiter der Yuba/Sutter Juvenile Hall und Dave war auf der Beale Air Force Base in Yuba County stationiert. Er kam in unsere Anstalt, um seine freiwilligen Dienste zugunsten der hier untergebrachten jugendlichen anzubieten. Dave war ein sehr effizienter freiwilliger Mitarbeiter, und er wurde schließlich sogar als offizieller Mitarbeiter auf Teilzeitbasis eingestellt, bis er auf eine andere Luftwaffenbasis versetzt wurde.
Mit großem Vergnügen und tiefer persönlicher wie emotionaler Genugtuung konnte ich Dave über die Handicaps seiner schrecklichen Kindheit hinauswachsen sehen. Er ist ein leuchtendes, lebendes Vorbild für andere, die unter ähnlichen Umständen und Erfahrungen zu leiden hatten und haben. Als Dave 1974 als Kind aus dem Jugendgefängnis entlassen wurde, wünschte ich ihm viel Glück. Als er 1989 ins Jugendgefängnis zurückkam, diesmal als Betreuer, musste ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel wischen. Ich sagte einfach: »Bravo!«
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Michael Marsh
Mentor
Eines Tages im Jahre 1976 kam ich in der ruhigen kali-fornischen Wohngegend von Menlo Park, in der überwiegend Monteure und Ingenieure wohnten, aus meiner Garage. Was ich da in der Einfahrt des Nachbargrundstücks
sah, machte mich nicht gerade glücklich. Schon seit fast einem Jahr waren Häuser in der Nachbarschaft, die zum Verkauf anstanden, von geschäftstüchtigen Maklern aufgekauft und in Miethäuser umgewandelt worden. Auch das Haus nebenan war ein solches Gebäude, und die neuen Mieter waren ungepflegt aussehende Leute, die offenbar einen beträchtlichen Teil ihres Familieneinkommens vom Staat Kalifornien bezogen - dafür, dass sie als Pflegeeltern fungierten.
Was mir an besagtem Tag unter die Augen kam, war ihre jüngste »Neuerwerbung« - eine lange Bohnenstange von einem jungen in einem
schmutzigen, ärmellosen, gerippten T-Shirt. Er bastelte an seinem Mopedmotor herum, hatte eine Art lüsternes Grinsen - als natürlichen Bestandteil seiner Gesichtszüge - und intensive Augen, die hinter dicken Brillengläsern ständig wachsam in die Gegend spähten.
Anfangs empfand ich Widerwillen gegen ihn, doch der resultierte eher aus dem Gefühl, dass meine harte Arbeit und auch die meiner Frau - damit wir uns unser erstes Eigenheim in einer anständigen Nachbarschaft 299
leisten konnten - durch Grundstücksspekulanten zunichte gemacht wurde, die dadurch Gewinne erzielten, dass sie in meine Nachbarschaft solche Familien importierten. Doch David Pelzer war nicht schüchtern - im Gegenteil, seine Freundlichkeit war geradezu hartnäckig. Als ich David etwas besser kennen lernte, merkte ich allmählich, dass er gescheit war und einen scharfen Sinn für Humor hatte, obwohl man ihm in seiner schlimmen Kindheit böse mitgespielt hatte und obwohl er es, allem Anschein nach, als Jugendlicher auch nicht besser getroffen hatte.
Anfangs ähnelte das
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