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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Strand Football spielten, nachts war dann Drill. Erschöpft, seekrank, stand Milton eingekeilt wie eine Sardine, schweres Gepäck auf dem Rücken. Immer hatte er Amerikaner sein wollen, und nun bekam er vorgeführt, wie seine amerikanischen Landsleute waren. In dieser Enge litt er unter ihren hinterwäldlerischen Schlüpfrigkeiten und ihrem blöden Gerede. Stundenlang waren sie zusammen in einem Boot, wurden herumgeschleudert, nass. Um drei oder vier Uhr morgens kamen sie ins Bett. Dann ging die Sonne auf, und es wurde Zeit, mit allem wieder von vorn anzufangen.
    Warum war er zur Navy gegangen? Aus Rache, als Flucht. Er wollte es Tessie heimzahlen, und er wollte sie vergessen. Beides hatte nicht geklappt. Die Ödnis des militärischen Lebens, die endlose Abfolge von Pflichten, das Anstehen zum Essen, vor der Toilette, zum Rasieren, das alles waren keine Ablenkungen. Den ganzen Tag in irgendeiner Schlange zu stehen förderte eben jene Gedanken zutage, die Milton vermeiden wollte - an den Abdruck einer Klarinette, gleich einem Feuerring, auf Tessies gerötetem Schenkel. Oder an Vandenbrock, den Jungen aus Omaha, der ertrunken war: sein zerschundenes Gesicht, und wie das Meerwasser durch seine eingeschlagenen Zähne lief.
    Jetzt in dem Boot wurden die Männer um Milton herum schon seekrank. Zehn Minuten in der Dünung, und die Matrosen krümmten sich und erbrachen den Rindfleischeintopf und den Instant-Kartoffelbrei, den sie am Abend auf dem geriffelten Metallfußboden gegessen hatten. Darüber wurde gar nicht mehr gesprochen. Das Erbrochene, das im Mondschein ein unheimliches Blau annahm, hatte seinen eigenen Wellengang, schwappte allen im Wechsel über die Stiefel. Milton hob das Gesicht, versuchte etwas frische Luft zu schnappen.
    Das Boot rollte und stampfte. Es stürzte von Wellenbergen, kam krachend unten an, mit zitterndem Rumpf. Sie näherten sich dem Ufer, wo sich die Brandung aufbäumte. Die anderen Männer richteten ihr Gepäck und machten sich für den Pseudoangriff bereit, und Matrose Stephanides verließ die Einsamkeit seines Helms.
    »Hab ich in der Bücherei gesehen«, sagte der Seemann neben ihm zu einem anderen. »Am Anschlagbrett.«
    »Was für eine Prüfung?«
    »So eine Aufnahmeprüfung. Für Annapolis.«
    »Ja, stimmt, ein paar von uns lassen sie nach Annapolis.«
    »Ist doch egal, ob sie uns zulassen oder nicht. Wichtig ist, wer die Prüfung macht, ist so lange vom Drill befreit.«
    »Was sagt ihr da von einer Prüfung?«, unterbrach Milton sie. Der Matrose blickte sich um, ob jemand mitgehört hatte.
    »Behalt's für dich. Wenn wir uns alle anmelden, funktioniert's nicht.«
    »Wann ist das?«
    Aber bevor der Matrose antworten konnte, erscholl ein lautes, mahlendes Geräusch: Sie waren wieder auf einen Fels gelaufen. Der jähe Halt warf alle nach vorn. Helme knallten aneinander, Nasen brachen. Die Matrosen stürzten auf einen Haufen, dann gab die Vorderluke nach. Wasser strömte ins Boot, der Leutnant brüllte. Milton sprang wie alle anderen in das Durcheinander -schwarze Felsen, saugender Unterstrom, mexikanische Bierflaschen, erschrockene Krabben.
    In Detroit, ebenfalls im Dunkeln, saß meine Mutter im Kino. Michael Antoniou, ihr Verlobter, war zum Heilig-Kreuz-Kolleg zurückgekehrt, also hatte sie die Samstage für sich. Auf der Leinwand der Esquire-Lichtspiele blitzten Ziffern auf... 5... 4...
    3... und die Wochenschau begann. Gedämpfte Trompeten schmetterten. Ein Sprecher fing mit Kriegsberichten an. Während des gesamten Krieges war es immer derselbe Sprecher gewesen, sodass Tessie ihn inzwischen zu kennen meinte; er gehörte fast schon zur Familie. Woche für Woche hatte er sie informiert: über Monty und die Engländer, die Rommels Panzer aus Nordafrika vertrieben, und die amerikanischen Truppen, die Algerien befreiten und auf Sizilien landeten. Popcorn kauend hatte Tessie das gesehen, und die Monate und Jahre waren vergangen. Die Wochenschau folgte einer Reiseroute. Erst hatte sie sich auf Europa beschränkt. Panzer rollten durch winzige Dörfer, und französische Mädchen winkten mit Taschentüchern von Balkonen. Die französischen Mädchen sahen gar nicht so aus, als hätten sie einen Krieg hinter sich; sie trugen hübsche Rüschenröcke, weiße Söckchen und Seidentücher. Keiner der Männer trug ein Barett, was Tessie überraschte. Sie hatte immer einmal nach Europa fahren wollen, nicht so sehr nach Griechenland, sondern nach Frankreich oder Italien. Wenn Tessie diese Wochenschauen

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