Middlesex
sich nicht einzumischen, funkelte seinen Sohn nun an. »Du bist ein sehr dummer junger Mann, weißt du das? Du glaubst wohl, das ist eine Art Spiel, was?«
»Nein.«
»Das ist ein Krieg. Du glaubst wohl, ein Krieg ist irgend so ein Spaß? So ein Riesenjux, den du mit deinen Eltern machen kannst?«
»Nein.«
»Wirst schon sehen, was für ein Riesenjux das ist.«
»Die Navy!«, jammerte Desdemona unterdessen weiter. »Und wenn untergeht dein Schiff?«
»Siehst du, was du anrichtest?« Lefty schüttelte den Kopf.
»Deine Mutter wird sich deinetwegen zu Tode grämen.«
»Wird schon schiefgehen«, sagte Milton.
Als Lefty seinen Sohn ansah, bot sich ihm ein schmerzlicher Anblick: er selbst zwanzig Jahre zuvor, erfüllt von einem dummen, großspurigen Optimismus. Angst durchfuhr ihn wie ein Stachel, und er konnte nur im Zorn sprechen. »Na gut. Dann geh zur Navy«, sagte Lefty. »Aber weißt du, was du vergessen hast, Mr. Beinahe-Eagle-Scout?« Er zeigte auf Miltons Brust. »Du hast vergessen, dass du kein Schwimmerabzeichen gekriegt hast.«
WELTNACHRICHTEN
Ich wartete drei Tage, bis ich Julie wieder anrief. Es war zehn Uhr abends, sie war in ihrem Atelier und arbeitete. Sie hatte noch nicht gegessen, also schlug ich vor, irgendwo hinzugehen. Ich sagte, ich würde vorbeikommen und sie abholen.
Diesmal ließ sie mich herein. In ihrem Atelier herrschte ein fürchterliches Chaos, aber nach den ersten Schritten nahm ich das nicht mehr wahr. Meine Aufmerksamkeit wurde von dem gefesselt, was ich an den Wänden sah. Fünf oder sechs große Probeabzüge waren drangepinnt, jedes zeigte die Industrielandschaft eines Chemiewerks. Julie hatte die Fabrik von einem Kran aus aufgenommen, sodass es für den Betrachter wirkte, als schwebe er dicht über dem Röhren- und Schornsteingewirr.
»He, das reicht«, sagte sie und schob mich Richtung Tür.
»Moment«, sagte ich. »Ich liebe Fabriken. Ich komme aus Detroit. So was ist für mich wie ein Ansel Adams.«
»Na, jetzt hast du's gesehen«, sagte sie und scheuchte mich zum Ausgang, erfreut, beklommen, lächelnd, störrisch.
»Ich hab was von Bernd und Hilla Becher im Wohnzimmer«, prahlte ich.
»Du hast was von Bernd und Hilla Becher?« Sie blieb stehen.
»Eine alte Zementfabrik.«
»Also gut.« Julie gab nach. »Ich fotografiere Fabriken. Nur das. Fabriken. Das da ist das IG-Farben-Werk.« Sie verzog das Gesicht. »Es ist wohl leider genau das, was Amerikaner hier eben machen.«
»Du meinst, Holocaust-Industrie?«
»Ich hab das Buch nicht gelesen, aber, ja.«
»Wenn du immer Fabriken fotografiert hast, dann ist das, glaube ich, was anderes«, sagte ich. »Dann hängst du dich da nicht einfach dran. Wenn Fabriken dein Thema sind, wie hättest du die IG Farben dann nicht fotografieren sollen.«
»Du findest, das geht?«
Ich zeigte auf die Probeabzüge. »Die sind toll.«
Wir verstummten, sahen einander an, und ohne nachzu denken, beugte ich mich vor und küsste Julie ganz leicht auf den Mund.
Als der KUSS vorbei war, riss sie die Augen auf. »Neulich, als wir uns zum ersten Mal gesehen haben, hab ich gedacht, du bist schwul«, sagte sie.
»Das lag wohl am Anzug.«
»Mein Schwulenradar hat sofort angeschlagen.« Julie schüttelte den Kopf. »Hab immer Angst, die letzte Station zu sein.«
»Die letzte was?«
»Hast du das nie gehört? Asiatische Frauen sind die letzte Station. Wenn sich ein Schwuler noch nicht geoutet hat, nimmt er sich eine Asiatin, weil die einen Körper wie ein Junge hat.«
»Du hast keinen Jungenkörper«, sagte ich.
Das machte Julie verlegen. Sie wandte den Blick ab.
»Haben dich viele Schwule angebaggert?«, fragte ich sie.
»Zweimal am College, dreimal beim Master-Studium«, antwortete Julie.
Die einzige Antwort daraufwar, sie wieder zu küssen.
UM MIT DER Geschichte meiner Eltern fortzufahren, muss ich eine sehr peinliche Erinnerung an einen Griechisch-Amerikaner loswerden: Michael Dukakis auf seinem Panzer. Erinnern Sie sich? An dieses eine Bild, das unsere Hoffnungen, einen Griechen ins Weiße Haus zu schleusen, begraben hat: Dukakis, einen übergroßen Armeehelm auf dem Kopf, hüpft auf einem M41 Walker Bulldog dahin und versucht, wie ein Präsident auszusehen, hat aber eher etwas von einem kleinen Jungen auf einem Kirmes-Karussell. (Jedes Mal, wenn ein Grieche dem Oval Office nahe kommt, geht etwas schief. Erst Agnew mit seiner Steuerhinterziehung, dann Dukakis auf dem Panzer.) Bevor Dukakis auf das Panzerfahrzeug kletterte, bevor
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