Middlesex
er seinen J. Press-Anzug auszog und in die Panzerkombi schlüpfte, empfanden wir alle - ich spreche für meine griechisch-amerikanischen Landsleute, ob sie es wollen oder nicht - überbordende Freude. Dieser Mann war der demokratische Präsidentschaftskandidat der Vereinigten Staaten! Er stammte aus Massachusetts, wie die Kennedys! Er praktizierte eine Religion, die noch merkwürdiger als der Katholizismus war, aber davon sprach niemand. Das war 1988. Vielleicht war ja nun die Zeit gekommen, da jeder - wenigstens nicht immer die gleichen Wichtigtuer - Präsident werden konnte. Die Transparente auf dem Parteitag der Demokraten! Die Aufkleber auf allen Volvos! »Dukakis.« Ein Name mit mehr als zwei Vokalen will Präsident werden! Zuletzt war das bei Eisenhower so gewesen (und der machte sich gut auf einem Panzer). Ganz allgemein möchten die Amerikaner, dass ihre Präsidenten nicht mehr als zwei Silben haben. Truman. Johnson. Nixon. Clinton. Und wenn sie mehr als zwei Vokale haben (Reagan), dann wenigstens nicht mehr als zwei Silben. Noch besser sind eine Silbe und ein Vokal: Bush. Der musste es gleich zweimal machen. Warum entschied sich Mario Cuomo dagegen, sich um das Präsidentenamt zu bewerben? Zu welchem Entschluss war er gekommen, als er sich zurückzog, um die Lage zu überdenken? Anders als Dukakis, der aus dem akademischen Massachusetts stammte, war Mario Cuomo aus New York und wusste, was Sache war. Cuomo wusste, er würde niemals siegen. Klar, er war zu liberal für seine Zeit. Aber auch: Sein Name hatte zu viele Vokale.
Auf einem Panzer fuhr Michael Dukakis auf eine Phalanx von Fotografen zu und in den politischen Sonnenuntergang. So schmerzlich die Erinnerung an dieses Bild auch ist, erwähne ich es doch nicht ohne Grund. Mehr als alles andere sah so mein frisch rekrutierter Vater aus, Seaman 2nd Class Milton Stephanides, als er im Herbst 1944 in einem Landungsboot vor der kalifornischen Küste dahinhüpfte. Wie Dukakis war Milton vor allem Helm. Wie bei Dukakis sah Miltons Helmriemen aus, als sei er von seiner Mutter festgezurrt worden. Wie die Miene von Dukakis verriet auch die von Milton eine schleichende Ahnung, dass da ein Irrtum vorlag. Auch Milton konnte von seinem fahrenden Gefährt nicht herunter. Auch er war auf dem Weg in den Untergang. Der einzige Unterschied war die Abwesenheit von Fotografen, denn es war mitten in der Nacht.
Einen Monat nachdem er sich zur Navy aufgemacht hatte, war Milton im Marinestützpunkt Coronado in San Diego stationiert. Er gehörte zu einer Amphibieneinheit, deren Aufgabe es war, Truppen in den Fernen Osten zu transportieren und sie bei der Erstürmung von Stränden zu unterstützen. Miltons Aufgabe bestand darin - bislang glücklicherweise nur im Manöver -, das Landungsboot an der Seite des Transportschiffs hinabzulassen. Über einen Monat lang, sechs Tage die Woche, zehn Stunden am Tag, hatte er das getan - Boote voller Männer unter unterschiedlichen Wasserbedingungen hinabzulassen.
Wenn er nicht gerade ein Landungsboot hinabließ, saß er selbst in einem. Drei, vier Nächte die Woche mussten sie Nachtlandungen üben. Das war äußerst knifflig. Die Küste bei Coronado war tückisch. Die unerfahrenen Lotsen hatten Schwierigkeiten, auf die Leitfeuer, die die Strande markierten, zuzuhalten, und steuerten die Boote oft auf Klippen.
Der Armeehelm versperrte Milton zwar momentan die Sicht, vermittelte ihm jedoch ein ziemlich gutes Bild von der Zukunft.
Der Helm wog so viel wie eine Bowlingkugel. Er war dick wie eine Motorhaube. Man setzte ihn sich wie einen Hut auf den Kopf, aber er war alles andere als ein Hut. In Kontakt mit dem Schädel übertrug ein Armeehelm Bilder direkt ins Gehirn. Sie zeigten Gegenstände, zu deren Abwehr der Helm konstruiert war. Projektile zum Beispiel. Und Schrapnelle. Der Helm schottete den Geist dagegen ab, über diese wesentlichen Realitäten nachzudenken.
Und wenn man jemand wie mein Vater war, begann man zu grübeln, wie man solchen Realitäten entrinnen konnte. Nach einer einzigen Woche Drill erkannte Milton, dass es ein furchtbarer Fehler gewesen war, zur Navy zu gehen. Die Schlacht konnte nur geringfügig weniger gefährlich sein als diese Vorbereitung auf sie. Jede Nacht wurde jemand verletzt. Wellen schleuderten Männer gegen die Boote. Männer fielen heraus und wurden darunter gespült. In der Woche zuvor war ein Junge aus Omaha ertrunken.
Am Tag wurde trainiert, indem sie in Kampfstiefeln, um die Beine zu kräftigen, am
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