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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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bediente uns, als wären wir Gäste. Er nahm Leftys Bestellung entgegen und zwinkerte: »Und was möchte die Dame haben?«
    »Ich bin keine Dame!«
    »Nein?«
    Ich bestellte wie immer einen Cheeseburger, einen Milch shake und als Nachtisch eine Zitronenmeringe. Milton öffnete die Kasse und gab mir einen Stapel Quarter für die Musikbox. Während ich die Stücke auswählte, hielt ich durchs Fenster Ausschau nach meinem Nachbarfreund. An den meisten Samstagen war sein Platz an der Ecke, umgeben von anderen jungen Männern. Manchmal stand er auf einem kaputten Stuhl oder einem Schlackenstein und schwang Reden. Immer war sein Arm fuchtelnd und gestikulierend in die Luft gereckt. Aber wenn er mich zufällig sah, öffnete sich seine erhobene Faust, und er winkte mir zu.
    Er hieß Marius Wyxzewixard Challouehliczilczese Grimes. Ich durfte nicht mit ihm sprechen. In Miltons Augen war Marius ein Unruhestifter, eine Ansicht, die viele Stammgäste des Zebra Room, weiße wie schwarze, teilten. Aber ich mochte ihn. Er nannte mich »kleine Königin vom Nil«. Er sagte, ich sähe aus wie Kleopatra. »Kleopatra war Griechin«, sagte er. »Hast du das nicht gewusst?« - »Nein.« - »War sie aber. Sie war Ptolemäerin. Große Familie damals. Griechische Ägypter. Ich hab auch ein bisschen ägyptisches Blut in mir. Du und ich, wir sind vielleicht sogar verwandt.« Wenn er auf seinem kaputten Stuhl stand und darauf wartete, dass sich Leute um ihn scharten, redete er mit mir. Aber wenn andere Leute da waren, war er zu sehr beschäftigt.
    Marius Wyxzewixard Challouehliczilczese Grimes war nach einem äthiopischen Nationalisten benannt worden, einem Zeitgenossen Fard Muhammads in den dreißiger Jahren. Marius hatte als Kind Asthma gehabt. Er hatte seine Kindheit überwiegend im Haus verbracht, die eklektischen Bücher aus der Bibliothek seiner Mutter gelesen. Als Teenager war er viel zusammengeschlagen worden (Marius trug nämlich eine Brille und hatte die Angewohnheit, durch den Mund zu atmen). Aber als ich ihn kennen lernte, wurde Marius W. C. Grimes gerade zum Mann. Er arbeitete in einem Plattenladen und studierte abends Jura an der Universität von Detroit. Im Lande, besonders in den Schwarzenvierteln, tat sich etwas, was dem Aufstieg eines Marius auf die Seifenkiste an der Ecke förderlich war. Plötzlich war es angesagt, Dinge zu wissen, sich über die Ursachen des Spanischen Bürgerkriegs zu verbreiten. Auch Che Guevara hatte Asthma. Und Marius trug ein Barett. Ein schwarzes paramilitärisches Barett, dazu eine Sonnenbrille und ein kleines, flaumiges Unterlippenbärteben. Mit Barett und Brille stand Marius nun an der Ecke und öffnete den Leuten für alles Mögliche die Augen. »Zebra Room«, sagte er und deutete mit einem knochigen Finger hin, »in weißer Hand.« Dann zeigte der Finger die Straße entlang. »Fernsehladen, in weißer Hand. Lebensmittelladen, in weißer Hand. Bank...« Die Brüder sahen sich um... »Genau. Keine Bank. Schwarze kriegen hier keine Kredite.« Marius hatte vor, ein Anwalt der Bedürftigen zu werden. Sobald er sein Juraexamen hatte, wollte er die Stadt Dearborn wegen Benachteiligungen auf dem Wohnungsmarkt verklagen. Gegenwärtig war er die Nummer drei in seinem Jahrgang. Aber nun war es schwül, sein Kindheitsasthma machte Theater, und Marius fühlte sich unglücklich und krank, als ich auf meinen Rollschuhen vorbeifuhr.
    »Hallo, Marius.«
    Er antwortete nicht vernehmlich, bei ihm ein Zeichen, dass er niedergeschlagen war. Aber er nickte mir zu, was mir den Mut gab fortzufahren.
    »Warum besorgst du dir keinen besseren Stuhl zum Draufste hen?«
    »Gefällt dir mein Stuhl nicht?«
    »Der ist doch ganz kaputt.«
    »Der Stuhl ist eine Antiquität. Das heißt, er muss kaputt sein.«
    »Aber nicht so.«
    Doch Marius spähte über die Straße zum Zebra Room.
    »Ich möchte dich mal was fragen, kleine Cleo.«
    »Was?«
    »Wieso sitzen da am Tresen vom Diner deines Dads immer wenigstens drei dicke, fette so genannte Ordnungshüter?«
    »Er gibt ihnen Kaffee gratis.«
    »Und was meinst du, warum tut er das?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Du weißt es nicht? Na gut, ich sag's dir. Er zahlt ihnen Schutzgeld. Dein Alter hat immer die Bullen da, weil er vor uns Schwarzen Schiss hat.«
    »Gar nicht«, sagte ich, plötzlich abwehrend.
    »Meinst du nicht?«
    »Nein.«
    »Na gut, Queenie. Du musst es ja wissen.«
    Doch Marius' Vorwurf nagte an mir. Von da an beobachtete ich meinen Vater genauer. Ich bemerkte, dass er

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