Middlesex
Sunshine and Health«, sagte Julie.
»Ab einem bestimmten Alter sollten die Leute angezogen bleiben«, sagte ich, etwas in der Art zumindest. Im Zweifel bediene ich mich immer eher konservativer oder britisch klingender Erklärungen. Ich überlegte nicht, was ich da sagte. Plötzlich hatte ich die Nudisten völlig vergessen. Weil ich jetzt Julie ansah. Sie hatte sich ihre silberne DDR-Brille oben auf den Kopf geschoben, damit sie Fotos von den fernen Sonnenanbetern machen konnte. Der Wind von der Ostsee ließ ihre Haare flattern. »Deine Augenbrauen sind wie kleine schwarze Raupen«, sagte ich. »Schmeichler«, sagte Julie, weiter fotografierend. Mehr sagte ich nicht. Ganz so, wie wenn nach dem Winter die Sonne wiederkommt, stand ich still da und nahm den warmen Schein des Möglichen hin, das Gefühl, neben dieser kleinen, eigenartig grimmigen Person mit den tintenschwarzen Haaren und dem hübschen, unauffälligen Körper richtig zu sein.
Dennoch schliefen wir diese Nacht, und auch die nächste, in getrennten Zimmern.
ALS MEIN VATER mir verbot, mit Marius Grimes zu sprechen, war es April, in Michigan ein feuchter, leidenschaftsloser Monat. Ab Mai wurde es warm; der Juni war heiß, der Juli noch heißer. Im Garten unseres Hauses in der Seminole Street sprang ich im Badeanzug durch den Sprinkler, während Pleitegeier Löwenzahn sammelte, um Löwenzahnwein zu machen.
In jenem Sommer, während die Temperaturen stiegen, versuchte Milton, das Dilemma, in dem er sich befand, aufzulösen. Er hatte nicht von einem Restaurant geträumt, sondern von einer ganzen Kette. Nun musste er erkennen, dass das erste Glied in dieser Kette, der Zebra Room, ein schwaches war, und das stürzte ihn in Zweifel und Verstörung. Zum ersten Mal in seinem Leben zeichnete sich für Milton Stephanides eine Möglichkeit ab, die er nie in Betracht gezogen hatte: Scheitern. Was sollte er mit dem Restaurant machen? Sollte er es für ein Butterbrot verkaufen? Was dann? (Fürs Erste beschloss er, das Diner montags und dienstags zu schließen, um Personalkosten zu sparen.)
In unserer Gegenwart sprachen meine Eltern nicht darüber und wechselten ins Griechische, wenn sie die Sache mit unseren Großeltern erörterten. Aus dem Ton eines Gesprächs, von dem wir nichts verstanden, hätten Pleitegeier und ich heraushören müssen, was los war, aber ehrlich gesagt achteten wir gar nicht darauf. Wir wussten lediglich, dass Milton tagsüber plötzlich zu Hause war. Milton, den wir zuvor kaum einmal im Sonnenlicht gesehen hatten, saß auf einmal im Garten und las Zeitung. Wir entdeckten, wie die Beine unseres Vaters in kurzen Hosen aussahen. Wir entdeckten, wie er aussah, wenn er sich nicht rasierte. Die ersten zwei Tage wurde sein Gesicht schmirgelpapierartig wie sonst am Wochenende. Doch statt meine Hand zu nehmen und sie an seinen Stoppeln zu reiben, bis ich kreischte, war Milton nun nicht mehr in der Stimmung, mich zu piesacken. Er saß einfach nur auf der Terrasse, und der Bart wucherte wie ein Fleck, wie ein Pilz.
Unbewusst hielt Milton es mit dem alten griechischen Brauch, sich nach einem Todesfall in der Familie nicht zu rasieren. Bloß war in dem Fall kein Leben, sondern eine Lebensweise zu Ende gegangen. Der Bart ließ sein ohnehin schon rundliches Gesicht noch voller erscheinen. Er stutzte ihn nicht und hielt ihn auch nicht besonders sauber. Und da er kein Wort über seinen Kummer verlor, begann sein Bart all das, was Milton sich nicht zu sagen gestattete, wortlos zu erzählen. Die Knoten und Wirbel verwiesen auf seine zunehmend verschlungenen Gedanken. Der strenge Geruch setzte die Stressketone frei. Im Verlauf des Sommers wurde der Bart struppig, ungemäht, und es war klar, dass Milton über die Pingree Street nachgrübelte; wie die Pingree Street verkam auch er.
Lefty versuchte, seinen Sohn zu trösten. »Sei stark«, schrieb er. Und lächelnd notierte er noch die Inschrift auf dem Kriegerdenkmal in den Thermopylen: »Sage, Fremder, kommst du nach Sparta, du habest uns hier liegen gesehen, wie das Gesetz es befahl.« Doch Milton würdigte das Zitat kaum eines Blicks. Der Schlaganfall seines Vaters hatte ihn überzeugt, dass Lefty nicht mehr ganz auf der Höhe war. Stumm, seine erbarmungswürdige Tafel unterm Arm, in die Wiederherstellung seiner Sappho verloren, wirkte Lefty auf seinen Sohn immer älter. Milton merkte, wie er ungeduldig wurde oder ihn gar nicht beachtete. Von alternden Familienmitgliedern vorgebrachte Andeutungen der
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