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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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war, war er ein Teenager, und als ich schließlich auch ein Teenager war, war er erwachsen. Mit zwölf tat mein Bruder nichts lieber, als Golfbälle zu halbieren, um zu sehen, was darin war. Im Allgemeinen enthüllte seine Vivisektion von Wilsons und Spaldings einen Kern, der aus äußerst fest gebündelten Gummibändern bestand. Manchmal aber gab es auch Überraschungen. Wenn Sie sich meinen Bruder auf diesem Film nämlich ganz genau ansehen, werden Sie etwas Seltsames feststellen: Gesicht, Arme, Hemd und Hose sind von Tausenden weißer Pünktchen übersät.
    Kurz vor Beginn meiner Geburtstagsfeier war Pleitegeier im Keller gewesen, wo er einen neumodischen Titleist, der einen »flüssigen Kern« haben sollte, mit einer Bügelsäge bearbeitet hatte. Der Ball steckte in einem Schraubstock fest, und Pleitegeier sägte. Als er die Mitte des Titleist erreichte, gab es einen lauten Knall, gefolgt von einer Rauchwolke. Der Ball war leer. Pleitegeier stand vor einem Rätsel. Aber als er aus dem Keller kam, sahen wir alle die Pünktchen...
    Zurück auf der Feier, wird gerade meine Geburtstagstorte mit den sieben Kerzen aufgetragen. Die stummen Lippen meiner Mutter fordern mich auf, mir etwas zu wünschen. Was habe ich mir mit sieben gewünscht? Ich weiß es nicht mehr. Im Film beuge ich mich vor und blase, Äolierin, die Kerzen aus. Gleich darauf brennen sie erneut. Ich blase sie wieder aus. Und noch einmal. Dann lacht Pleitegeier, endlich vergnügt. So endeten unsere Filme, mit einem Streich an meinem Geburtstag. Mit Kerzen, die mehrere Leben hatten.
    Bleibt die Frage: Warum war das Miltons letzter Film? Kann es mit der üblichen nachlassenden Begeisterung von Eltern für die filmische Dokumentation ihrer Kinder erklärt werden? Damit, dass Milton Hunderte von Babyfotos von Pleitegeier machte und kaum zwanzig von mir? Um diese Fragen zu beantworten, muss ich hinter die Kamera treten und die Dinge mit den Augen meines Vaters sehen.
    Der Grund, warum Milton uns entglitt, war der: Nach zehn Jahren warf das Diner keinen Gewinn mehr ab. Durch das vordere Fenster (über die »Athena«-Olivenöldosen hinweg) blickte mein Vater Tag für Tag auf die Veränderungen in der Pingree Street. Die weiße Familie, die gegenüber gewohnt hatte, einst gute Kundschaft, war ausgezogen. Jetzt gehörte das Haus einem Farbigen namens Morrison. Der kam ins Diner, um Zigaretten zu kaufen. Er bestellte sich einen Kaffee, wollte tausendmal nachgeschenkt haben und rauchte. Nie bestellte er sich etwas zu essen. Anscheinend hatte er keine Arbeit. Manchmal zogen andere Leute bei ihm ein, eine junge Frau, vielleicht Morrisons Tochter, mit ihren Kindern. Dann waren sie wieder weg, und nur noch Morrison blieb übrig. Auf seinem Dach lag eine mit Backsteinen beschwerte Plane, um ein Loch abzudecken.
    Nur eine Straße weiter hatte eine Nachtbar aufgemacht. Deren Gäste urinierten auf dem Nachhauseweg in den Eingang des Diners. Die Twelfth Street war zum Straßenstrich geworden. Die chemische Reinigung im Nachbarblock war überfallen, der weiße Besitzer übel zusammengeschlagen worden. A. A. Laurie, der Besitzer des Optikergeschäfts nebenan, nahm seine Zahlentafel von der Wand, Arbeiter montierten die Neonbrille am Haus ab. Er zog in ein neues Geschäft in Southfield.
    Mein Vater hatte erwogen, dasselbe zu tun.
    »Das ganze Viertel geht den Bach runter«, hatte Jimmy Fiore tos ihm eines Sonntags nach dem Essen geraten. »Hau ab, solange du's noch kannst.«
    Und Gus Panos, dem man einen Luftröhrenschnitt verpasst hatte, sodass er, zischend wie ein Blasebalg, durch ein Loch im Hals sprach: »Jimmy hat Recht... sssss... Du musst nach... ssss... Bloomfield Hills ziehen.«
    Onkel Pete war anderer Ansicht gewesen, hatte sich wie immer für die Integration und die Unterstützung von Präsident Johnsons Krieg gegen die Armut stark gemacht.
    Ein paar Wochen später ließ Milton sein Lokal schätzen und erlebte einen Schock: Der Zebra Room war weniger wert, als Lefty ihn 1933 gekauft hatte. Milton hatte zu lange mit dem Verkauf gewartet. Jetzt konnte er nicht mehr abhauen.
    Und so blieb der Zebra Room an der Pingree Ecke Dexter, die Swingstücke in der Musikbox wurden immer altmodischer, die Prominenten und Sportler an den Wänden immer unbekannter. Samstags nahm mein Großvater mich oft auf Spritztouren mit. Wir fuhren auf die Belle Isle, um uns die Rehe anzusehen, danach aßen wir im Familienrestaurant zu Mittag. Im Diner saßen wir in einer Sitznische, und Milton

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