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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Unruhen einzudämmen. Die Bundestruppen, die Fallschirmjäger der 82.
    und 101. Luftlandebrigade, sind kampferprobte Veteranen, die wissen, was angemessene Gewalt ist. Mit der Nationalgarde dagegen verhält es sich anders.
    Sonntagskrieger waren das, unvermittelt hat man sie aus ihrem Zuhause in eine Schlacht geworfen. Sie sind unerfahren, ängstlich. Sie ziehen durch die Straßen, feuern auf alles, was sie sehen. Manchmal fahren sie mit ihren Panzern auf den Rasen vor den Häusern. Sie fahren auf die Veranden und krachen durch Wände. Der Panzer vor dem Zebra Room war kurz stehen geblieben. Ungefähr zehn Mann sind um ihn herum, zielen auf einen Heckenschützen im dritten Stock des Hotels Beaumont. Der Heckenschütze feuert, die Nationalgardisten feuern zurück, und der Mann fällt, die Beine verhaken sich in der Feuerleiter. Unmittelbar danach blitzt ein Licht über die Straße. Milton schaut hin und sieht Morrison in dessen Wohnzimmer, wie er sich eine Zigarette anzündet. Steckt sich eine Parliament mit zebragestreiften Zündhölzern an. »Nein!«, brüllt Milton. »Nein!«... Und Morrison denkt, falls er es hört, dass es wieder so eine Ausfälligkeit gegen das Rauchen ist, aber seien wir ehrlich, er hört es nicht. Er zündet sich nur seine Zigarette an, und zwei Sekunden später zerreißt ihm eine Kugel den Schädel, und er bricht in sich zusammen. Und schon ziehen die Soldaten weiter.
    Die Straße ist wieder leer, still. Die Maschinengewehre und die Panzer wenden sich dem nächsten Block oder dem übernächsten zu. Milton steht an der Eingangstür, schaut hinüber zu dem leeren Fenster, in dem Morrison gestanden hat. Und ihm dämmert die Erkenntnis, dass das Restaurant sicher ist. Die Soldaten sind schon wieder weg. Der Krawall ist vorbei...
    ... Nur dass nun jemand anderes auf der Straße vorrückt. Jetzt, wo die Panzer auf der Pingree Street verschwinden, nähert sich aus der entgegengesetzten Richtung eine neue Gestalt. Jemand, der im Viertel wohnt, biegt um die Ecke und steuert auf den Zebra Room zu...
    ... während ich so der Panzerkolonne folge, denke ich nicht mehr daran, meinen Bruder bloßzustellen. Der Ausbruch dieser vielen Schießereien hat mich vollkommen überrascht. Ich habe mir viele Male das Einklebebuch meines Vaters vom Zweiten Weltkrieg angeguckt, ich habe Vietnam im Fernsehen gesehen, ich habe mir zahllose Filme über das Alte Rom oder die Schlachten des Mittelalters zugemutet. Aber nichts davon hat mich auf einen Krieg in meiner Heimatstadt vorbereitet. Die Straße, durch die wir kommen, sind mit grünen Ulmen gesäumt. Autos stehen am Bordstein. Wir kommen an Rasenflächen und Verandamöbeln vorbei, an Vogelhäuschen und Vogelbecken. Als ich zum Zeltdach der Ulmen hinaufblicke, wird der Himmel gerade ein wenig hell. Vögel bewegen sich über die Zweige, auch Eichhörnchen. In einem Baum hängt ein Drachen. Überm Ast eines anderen baumelt ein Paar Tennisschuhe an zusammengebundenen Senkeln. Unmittelbar unter diesen Turnschuhen sehe ich ein Straßenschild. Es ist voller Einschusslöcher, aber trotzdem kann ich es lesen: Pingree. Auf einmal weiß ich, wo ich bin. Da ist ja Value Meats! Und New Yorker Clothes. Ich bin so glücklich, sie zu sehen, dass ich im ersten Moment gar nicht bemerke, dass beide Läden in Flammen stehen. Ich lasse die Panzer davonziehen, fahre eine Einfahrt hoch und halte hinter einem Baum. Ich steige vom Fahrrad und linse über die Straße auf das Diner. Das Schild mit dem Zebrakopf ist noch unversehrt. Das Restaurant brennt nicht. Aber in dem Augenblick kommt die Gestalt, die sich dem Zebra Room genähert hat, in mein Blickfeld. Aus dreißig Metern Entfernung sehe ich, wie sie eine Flasche hebt. Der Mann entzündet den Lappen, der aus dem Hals der Flasche hängt, und schleudert den Molotowcocktail mit einer nicht sonderlich guten Technik durch das Fenster des Zebra Room. Und während die Flammen im Diner hochschlagen, brüllt der Brandstifter mit ekstatischer Stimme:
    »Óppa, motherfucker!«
    Ich sah ihn nur von hinten. Es war noch nicht ganz hell, aus den brennenden Nachbargebäuden stieg Rauch auf. Dennoch glaubte ich, im Schein des Feuers das schwarze Barett meines Freundes Marius Wyxzewixard Challouehliczilczese Grimes zu erkennen, bevor die Gestalt davonlief.
    »Óppa!« In dem Diner hörte mein Vater den wohl vertrauten Ruf griechischer Kellner, und bevor er wusste, wie ihm geschah, loderte das Lokal wie eine flambierte Vorspeise auf. Der Zebra Room war zu

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