Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
Vom Netzwerk:
Marsmenschen, sondern Milton. Er hatte sich den Bart abrasiert.
    »Holt eure Mutter«, rief er lächelnd. »Wir machen eine kleine Tour.«
    Kein Raumschiff also, aber beinahe: ein 1967er Cadillac Fleetwood, eines der intergalaktischsten Autos, die je in Detroit gebaut wurden. (Bis zum Mondflug war es nur noch ein Jahr hin.) Er war schwarz wie der Weltraum selbst und hatte die Form einer auf der Seite liegenden Rakete. Die lang gezogene Front verjüngte sich, wie eine Raketenspitze, und von dort schwang sich das Fahrzeug in länglicher, schöner, ominös vollendeter Form entlang der Einfahrt zurück. Es hatte einen silbernen Kühlergrill mit zahlreichen Kästchen, wie um kosmischen Staub zu filtern. Chromleisten, Kabelverkleidungen ähnlich, führten von gelben konischen Blinkleuchten über die gerundeten Seiten des Wagens bis zum Heck, wo das Fahrzeug sich wie zu Antriebsaggregaten auswölbte, zu Düsenflossen und Schubtriebwerken.
    Innen war der Cadillac mit üppigen Teppichen ausgelegt und gedämpft illuminiert wie die Bar im Ritz. Die Armlehnen waren mit Aschenbecher und Zigarettenanzünder versehen. Die Innenausstattung selbst war aus schwarzem Leder und roch neu und intensiv. Es war, als stiege man in eine Brieftasche.
    Wir fuhren nicht gleich los. Wir blieben geparkt, als genügte es schon, einfach in dem Wagen zu sitzen, ja als könnten wir nun, da wir ihn besaßen, unser Wohnzimmer vergessen und jeden Abend in der Einfahrt sein. Milton ließ den Motor an. Noch in der Parkstellung erklärte er uns die Wunderdinge. Per Knopfdruck öffnete und schloss er die Fenster. Mit einem anderen Knopf verriegelte er die Türen. Er ließ den Vordersitz nach vorn summen, dann die Lehne nach hinten, bis ich die Schuppen auf seinen Schultern sehen konnte. Als er schließlich auf D schaltete, war uns allen ein wenig schwindelig. Wir fuhren die Seminole Street entlang, vorbei an unseren Nachbarn, von Indian Village bereits Abschied nehmend. An der Ecke setzte Milton den Blinker, und tickend zählte der die Sekunden bis zu unserem endgültigen Wegzug.
    Der 67er Fleetwood war der erste Cadillac meines Vaters, aber es sollten noch viele folgen. Während der nächsten sieben Jahre kaufte Milton fast jedes Jahr einen neuen, was es mir ermöglicht, mein Leben zu den Stilmerkmalen seiner Cadillac- Generationen in eine Beziehung zu bringen. Als die Heckflossen verschwanden, war ich neun, als die elektrischen Antennen kamen, elf. Auch mein Gefühlsleben entspricht den Designs. In den Sechzigern, als die Cadillacs geradezu futuristisch selbstsicher waren, war auch ich selbstbewusst und nach vorn orientiert. In den Siebzigern, als das Benzin knapp war, brachte der Hersteller jedoch den unglückseligen Seville auf dem Markt - einen Wagen, der aussah, als wäre ihm hinten einer reingefahren -, und auch ich empfand mich missgestaltet. Nennen Sie mir ein Jahr, und ich sage Ihnen, was für ein Auto wir hatten. 1970: den colafarbenen Eldorado. 1971: die rote DeVille-Limousine. 1972: den goldenen Fleetwood mit der Beifahrersonnenblende, die sich zum Garderobenspiegel eines Starlets auftat (worin Tessie ihr Make-up und ich meine ersten Hautunreinheiten überprüften). 1973: den langen schwarzen Fleetwood mit dem Kuppeldach, bei dessen Anblick andere anhielten, weil sie glaubten, ein Leichenzug komme vorbei.
    1974: den kanariengelben zweitürigen »Florida Special« mit Schiebe- und weißem Kunstlederdach und braunen Leder sitzen, den meine Mutter noch heute, nach fast dreißig Jahren, fährt.
    Aber 1967 hatten wir eben den weltraummäßigen Fleetwood. Sobald wir in dem erforderlichen Tempo fuhren, sagte Milton:
    »Und jetzt passt mal auf.« Er drückte einen Schalter unterm Armaturenbrett. Es gab ein zischendes Geräusch, als würden sich Ballons aufblasen. Langsam, wie auf einem fliegenden Teppich, erhoben wir vier uns in die oberen Regionen des Wageninnern.
    »Das nennt sich ›Air-Ride‹. Nagelneues Zubehör. Klasse, was?«
    »Ist das so eine Art hydraulisches Federungssystem?«, wollte Pleitegeier wissen.
    »Ich glaube, ja.«
    »Vielleicht brauche ich ja dann gar nicht mehr mein Kissen, wenn ich fahre«, sagte Tessie.
    Danach redete eine Weile keiner mehr. Wir fuhren nach Osten, aus Detroit heraus, buchstäblich auf Luft schwebend. Was mich zum zweiten Teil unseres Aufstiegs führt. Kurz nach den Krawallen begannen meine Eltern wie viele andere weiße Detroiter, sich nach einem Haus in den Vororten umzusehen. Der Vorort, den sie im Auge

Weitere Kostenlose Bücher