Middlesex
Zimmer.«
Ich folgte dem Objekt ins Haus. Sie lief schnell, rannte beinahe, und sah sich nicht nach mir um. Als sie vor mir die Treppe hinaufhastete, gab ich ihr von hinten einen Klaps.
»Ich hasse dich«, sagte ich.
»Was?«
»Du bist so braun!«
Sie warf mir über die Schulter ein Lächeln zu.
Während sich das Objekt anzog, schnupperte ich im Zimmer herum. Auch hier oben waren die Möbel aus weißem Korb. An den Wänden hingen dilettantische Segeldrucke, auf den Regalbrettern lagen Petoskey-Steine, Kiefernzapfen, modrige Taschenbücher.
»Was machen wir denn im Wald?«, fragte ich mit einem leichten Klageton.
Das Objekt antwortete nicht.
»Was machen wir im Wald?«, wiederholte ich.
»Spazieren gehen«, sagte sie.
»Du willst doch bloß, dass Rex dich belästigt.«
»Hast du eine schmutzige Phantasie, Callie.«
»Streit's doch nicht ab.«
Sie drehte sich zu mir und lächelte. »Ich weiß aber, wer dich belästigen will«, sagte sie.
Einen Augenblick lang durchströmte mich ein unbändiges Glück.
»Jerome«, erklärte sie.
»Ich will nicht in den Wald«, sagte ich. »Da sind lauter Käfer und so.«
»Sei nicht so ein Schisser«, sagte sie. Nie zuvor hatte ich sie »Schisser« sagen hören. So ein Wort sagten Jungen; Jungen wie Rex. Fertig angezogen stand das Objekt vor dem Spiegel und tupfte sich Feuchtigkeitscreme auf die Wangen. Sie bürstete sich die Haare und trug Lipgloss auf. Dann kam sie zu mir. Sie trat sehr nahe an mich heran. Sie machte den Mund auf und atmete mir ins Gesicht.
»In Ordnung«, sagte ich und trat zurück.
»Soll ich nicht auch bei dir riechen?«
»Kein Bedarf.«
Ich fasste einen Entschluss: Wenn das Objekt mich ignorierte und mit Rex flirtete, dann ignorierte ich sie auch und flirtete mit Jerome. Nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, kämmte ich mich. Aus der Sammlung Zerstäuber auf der Kommode suchte ich mir einen aus und drückte auf den Knubbel, aber es kam kein Parfüm. Ich ging ins Bad und löste die Träger meiner Latzhose. Ich hob das Hemd hoch und stopfte ein paar Papiertücher in meinen Büstenhalter. Dann schüttelte ich die Haare zurück, zog den Latz wieder hoch und eilte hinaus, zu unserem Waldspaziergang.
Sie warteten unter einem gelben Mückenlicht auf der Veranda. Jerome hatte eine silberne Taschenlampe. Über Rex' Schulter hing ein Armeerucksack voller Stroh's. Wir gingen die Treppe hinunter auf den Rasen. Der Boden war uneben, überall tückische Wurzeln, doch die Kiefernnadeln federten die Schritte ab. Einen Augenblick lang spürte ich sie, trotz meiner miesen Stimmung: die köstliche Frische Nord-Michigans. Eine leichte Kühle in der Luft, sogar im August, fast etwas Russisches. Der indigoblaue Himmel über der schwarzen Bucht. Der Duft von Zedern und Kiefern.
Am Waldrand blieb das Objekt stehen. »Wird das feucht? Ich hab bloß meine Tretorns an.«
»Komm schon«, sagte Rex Reese und zog sie an der Hand.
»Werd feucht.«
Sie schrie theatralisch auf. Zurückgelehnt wie beim Tauziehen, ließ sie sich ruckweise zwischen die Bäume zerren. Auch ich blieb stehen, spähte hinein und wartete, dass Jerome dasselbe tat. Aber nein. Er marschierte geradewegs in den Sumpf und sank dann langsam bis zu den Knien ein.
»Treibsand!«, schrie er. »Hilfe! Ich versinke! Hilf mir doch einer... blub blub blub blub blub.« Weiter voraus, schon nicht mehr zu sehen, lachten Rex und das Objekt.
Der Zedernsumpf war ein urwüchsiges Gelände. Hier war noch nie Holz geschlagen worden. Der Boden war für Häuser ungeeignet. Die Bäume waren Hunderte von Jahren alt und wenn sie umfielen, blieben sie so liegen. Hier im Zedernsumpf war Vertikalität keine wesentliche Eigenschaft von Bäumen. Viele Zedern standen aufrecht, viele aber auch schräg. Noch andere waren gegen Nachbarbäume gefallen oder, Wurzelsysteme an die Oberfläche reißend, auf die Erde gekracht. Es war wie auf einem Friedhof: graue Baumskelette überall. Das Mondlicht, das herabsickerte, ließ silberne Pfützen und Spinnweben wie Gischt aufleuchten. Es blitzte auf den roten Haaren des Objekts, die weiter vorn hin und her huschte.
Schwerfällig und ungeschickt kamen wir durch den Sumpf voran. Rex machte Tierlaute, die keine waren. In seinem Rucksack klackerten Bierdosen. Unsere entwurzelten Füße stapften durch den Matsch.
Nach zwanzig Minuten fanden wir sie: eine Hütte aus un lackierten Brettern, nur ein Raum. Das Dach war nicht viel höher als mein Kopf. Der runde Lichtstrahl der Taschenlampe
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