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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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klappte. Sie linderte die Angst meiner Mutter und irgendwie sogar meine eigene. Ich hatte das Gefühl, die Sache in die Hand genommen zu haben. Ich war nicht mehr der Natur ausgeliefert. Noch besser: Da unsere Reise nach Bursa abgeblasen war - ebenso wie mein Termin bei Dr. Bauer -, stand nun nichts mehr im Weg, die Einladung des Objekts ins Sommerhaus ihrer Familie anzunehmen. Als Vorbereitung darauf kaufte ich einen Sonnenhut, Sandalen und eine Latzhose.
    Über die politischen Ereignisse, die sich in jenem Sommer nach und nach der Nation offenbarten, war ich nicht besonders auf dem Laufenden. Dennoch war es unmöglich, nicht mitzubekommen, was da vor sich ging. Die Identifikation meines Vaters mit Nixon wurde mit dessen wachsenden Problemen nur noch stärker. In den langhaarigen Antikriegs- Demonstranten sah Milton seinen struppigen, ihn so sehr brüskierenden Sohn, und jetzt, in der Watergate-Affäre, erkannte er sein eigenes zweifelhaftes Verhalten während der Krawalle. Er hielt den Einbruch für einen Fehler, allerdings für keinen besonders großen. »Ihr glaubt wohl nicht, dass sich die Demokraten anders verhalten?«, fragte Milton die Sonntagspolitisierer. »Die Liberalen wollen ihn doch bloß kleinkriegen. Also machen sie auf fromm.« Bei den Abendnachrichten begleitete Milton die Geschehnisse auf dem Bildschirm mit einem Dauerkommentar. »Ach ja?«, sagte er etwa. »Quatsch.« Oder: »Dieser Proxmire ist doch eine totale Niete.« Oder: »Diese eierköpfigen Intellektuellen sollten sich lieber mal Gedanken über Außenpolitik machen. Was man mit den verdammten Russen und den Rotchinesen anstellt. Statt sich über einen Einbruch in einem popeligen Wahlkampfbüro aufzuregen.« Hinter seinem Fernsehtablett kauernd, beschimpfte Milton die linke Presse, und seine wachsende Ähnlichkeit mit dem Präsidenten war nicht mehr zu übersehen.
    Wochentags stritt er sich abends mit dem Fernseher, sonntags aber hatte er ein lebendes Publikum. Onkel Pete, der zumeist träge wie eine verdauende Schlange dasaß, erwachte dann zum Leben und wurde jovial. »Selbst vom chiropraktischen Standpunkt aus gesehen ist Nixon eine fragwürdige Figur. Er hat das Skelett eines Schimpansen.«
    Father Mike stichelte mit. »Na, wie findest du deinen Freund Tricky Dicky jetzt, Milt?«
    »Ich finde, das ist ein Haufen leeres Gedöns.«
    Steuerte das Gespräch auf Zypern zu, wurde alles noch schlimmer. Bei der Innenpolitik hatte Milton Jimmy Fioretos auf seiner Seite. Wenn es aber um die Lage auf Zypern ging, trennten sich ihre Wege. Einen Monat nach der Invasion, gerade als die Vereinten Nationen Friedensverhandlungen zum Abschluss bringen wollten, hatte die türkische Armee einen neuerlichen Angriff unternommen. Dieses Mal beanspruchten die Türken einen Großteil der Insel. Stacheldraht wurde gezogen. Wachtürme wurden errichtet. Zypern wurde halbiert wie Berlin, wie Korea, wie all die anderen Orte auf der Welt, die nicht mehr das eine oder das andere waren.
    »Jetzt zeigen sie ihr wahres Gesicht«, sagte Fioretos. »Die Türken wollten die ganze Zeit schon einmarschieren. Dieser Blödsinn von wegen (Verfassung schützen), das war doch bloß ein Vorwand.«
    »Die haben uns eins übergebraten... sssss... kaum dass wir ihnen den Rücken zugedreht haben«, krächzte Gus Panos.
    Milton schnaubte. »Was meinst du denn mit ›uns‹? Wo bist du geboren, Gus? Auf Zypern?«
    »Du weißt genau... sssss... was ich meine.«
    »Amerika hat die Griechen verraten!« Jimmy Fioretos stieß mit dem Finger in die Luft. »Das ist dieser doppelgesichtige Hurensohn Kissinger. Gibt dir die Hand und pisst dir im selben Moment in die Tasche!«
    Milton schüttelte den Kopf. Er senkte aggressiv das Kinn und machte tief im Hals ein kleines Geräusch, ein missbilligendes Bellen. »Wir müssen tun, was im nationalen Interesse liegt.«
    Und dann hob Milton das Kinn und sagte: »Zum Teufel mit den Griechen.«
    In diesem Jahr 1974 verleugnete mein Vater seine Wurzeln, statt sie durch eine Reise nach Bursa zu erneuern. Genötigt, sich zwischen dem Land seiner Geburt und dem seiner Abstammung zu entscheiden, zögerte er nicht. Unterdessen konnten wir alles von der Küche aus mit anhören: Gebrüll, eine zerbrechende Kaffeetasse, Flüche auf Englisch und Griechisch, Füße, die aus dem Haus stampften.
    »Hol deinen Mantel, Phyllis, wir gehen«, sagte Jimmy Fioretos.
    »Es ist doch Sommer«, sagte Phyllis. »Ich hab gar keinen Mantel dabei.«
    »Dann hol, was du eben dabei

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