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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Gedrücktseins. Die Reue, die mich bereits durchtränkt hatte, brach alle Dämme. Sie sickerte in meine Beine, überflutete mein Herz. Zusätzlich zu der Angst, dass ich meine Freundin verloren haben könnte, bedrängten mich auf einmal Sorgen über meinen Ruf. War ich wirklich eine Schlampe? Es hatte mir nicht mal gefallen. Aber ich hatte es doch getan, oder? Ich hatte es ihn tun lassen. Als nächstes kam die Furcht vor der Strafe. Wenn ich nun schwanger war? Was dann? Mein Gesicht am Frühstückstisch war das aller Rechenkünstlerinnen, die Tage zählten, Flüssigkeiten bewerteten. Es dauerte mindestens eine Minute, bis ich mir bewusst machte, dass ich gar nicht schwanger werden konnte. Immerhin das ein Vorteil, wenn man Spätentwickler war. Dennoch war ich aufgewühlt. Und sicher, dass das Objekt nie wieder mit mir reden würde.
    Ich ging die Treppe hoch und legte mich ins Bett, zog mir ein Kissen übers Gesicht, um mir das Sommerlicht vom Leib zu halten. Doch an jenem Morgen gab es kein Versteck vor der Wirklichkeit. Keine fünf Minuten später ächzten die Bettfedern unter einem neuen Gewicht. Ich spähte hinaus und sah, dass Jerome mir einen Besuch abstattete.
    Er lag auf dem Rücken, behaglich, schon eingerichtet. Statt eines Morgenmantels trug er eine Segeltuchjacke. Darunter lugten die Säume seiner ausgefransten Boxershorts hervor. In einer Hand hielt er einen Becher Kaffee, und erst da fiel mir auf, dass seine Fingernägel schwarz lackiert waren. Das Licht des Vormittags, das durch das Seitenfenster hereinkam, zeigte auf dem Kinn und über der Oberlippe Stoppeln. Im Vergleich zu seinen platt gedrückten, kaputten, gefärbten Haaren waren diese orangefarbenen Schößlinge wie das Leben, das in eine verbrannte Landschaft zurückkehrte.
    »Guten Morgen, mein Schatz«, sagte er, »Hallo.«
    »Wir sind ein wenig mitgenommen, wie?«
    »Ja«, sagte ich. »Ich war gestern Abend ziemlich betrunken.«
    »So betrunken bist du mir aber gar nicht vorgekommen, mein Schatz.«
    »War ich aber.«
    Jerome ließ seine Rolle fallen. Er hob den Kopf vom Kissen, trank einen Schluck Kaffee und seufzte. Eine Weile tippte er sich mit einem Finger gegen die Stirn. Dann sprach er. »Falls du dir welche von diesen piefigen Sorgen machst, sollst du wissen, dass ich dich immer noch respektiere und so Scheiß.«
    Ich antwortete nicht. Antworten hätte die Fakten dessen, was geschehen war, nur bestätigt; ich dagegen wollte sie in Zweifel hüllen. Zeit verstrich, dann stellte Jerome den Becher Kaffee hin und rollte sich auf die Seite. Er rutschte zu mir her und bettete den Kopf auf meine Schulter. So lag er da und atmete. Jetzt, mit geschlossenen Augen, wühlte er den Kopf zu mir unters Kissen. Er knabberte an mir herum. Er strich mir mit seinen Haaren über die Haut an meinem Hals, danach kamen die empfindlichen Organe an die Reihe. Seine Wimpern setzten mir Schmetterlingsküsse aufs Kinn. Seine Nase stöberte in der Höhlung meiner Kehle. Und dann seine Lippen, gierig, plump. Ich wollte ihn weg haben. Gleichzeitig überlegte ich, ob ich mir die Zähne geputzt hatte. Jerome schob sich auf mich, und es war wieder wie in der Nacht zuvor, ein erdrückendes Gewicht. So kündigen Jungs und Männer ihre Absichten an. Sie legen sich wie ein Sarkophagdeckel auf einen. Und nennen es Liebe.
    Eine Weile war es auszuhalten. Aber bald rutschte die Segeltuchjacke hoch, und Jeromes Verlangen bedrängte mich. Er versuchte erneut, mir unter die Bluse zu greifen. Ich trug keinen BH. Nach dem Duschen hatte ich ihn nicht angezogen und die Kleenex weggespült. Damit war ich fertig, aus und vorbei. Jeromes Hände glitten höher. Es war mir gleich. Sollte er doch fummeln. Wenn es ihm was brachte. Aber meine Hoffnung, ihn zu enttäuschen, trog. Er streichelte und drückte, während seine untere Hälfte wie ein Krokodilschwanz hin und her schwang. Und dann sagte er etwas Unironisches. Inbrünstig flüsterte er: »Ich steh echt auf dich.«
    Seine Lippen schlossen sich, suchten meine. Seine Zunge drang ein. Die erste Penetration, die die nächste ankündigte. Aber nicht jetzt, nicht dieses Mal.
    »Hör auf«, sagte ich.
    »Was?«
    »Hör auf.«
    »Warum das?«
    »Darum.«
    »Warum darum?«
    »Weil ich dich so nicht mag.«
    Er setzte sich auf. Wie der Mann in dem alten Vaudeville- Sketch, der Mann auf dem Klappbett, das nicht aufgeklappt bleiben will, schoss Jerome hoch, hellwach. Dann sprang er aus dem Bett.
    »Sei nicht sauer auf mich.«
    »Wer sagt, dass ich

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