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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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sauer bin?«, sagte Jerome und ging.
    Der Rest des Tages schleppte sich dahin. Ich blieb auf meinem Zimmer, bis ich Jerome mit seiner Filmkamera aus dem Haus gehen sah. Ich nahm an, dass ich nun nicht mehr zur Besetzung gehörte. Die Eltern des Objekts kehrten von ihrem morgendlichen Tennisdoppel zurück. Mrs. Objekt kam die Treppe herauf und ging ins Elternbadezimmer. Von meinem Fenster aus sah ich, wie Mr. Objekt sich mit einem Buch in die Hängematte hinterm Haus legte. Ich wartete, bis die Dusche lief, dann ging ich die Hintertreppe hinunter und durch die Küchentür nach draußen. Melancholisch marschierte ich zur Bucht.
    Der Zedernsumpf lag auf der einen Seite des Hauses. Auf der anderen war ein steiniger Feldweg, der durch ein freies, baumloses Gelände mit hohem gelbem Gras führte. Es war auffällig, dass es hier keine Bäume gab, und während ich so herumstreifte, stieß ich auf einen fast völlig überwucherten historischen Gedenkstein. Er bezeichnete den Ort eines Forts oder Massakers, welchen, weiß ich nicht mehr. Die erhabenen Lettern waren mit Moos bewachsen, und ich konnte nicht alles lesen. Eine Weile stand ich da und dachte an die ersten Siedler und wie sie einander wegen Biber- und Fuchsfellen umgebracht hatten. Ich trat mit dem Turnschuh Moos von der Plakette, bis ich keine Lust mehr dazu hatte. Inzwischen war es fast Mittag. Die Bucht war strahlend blau. Ich spürte das Städtchen Petoskey jenseits des Hügels, den Rauch aus den Kochstellen und Schornsteinen dort. Zum Wasser hin wurde das Gras morastig. Ich kletterte auf die Schutzmauer und lief, das Gleichgewicht haltend, darauf hin und her. Ich streckte die Arme aus und stolzierte wie Olga Korbut. Aber ich war in Gedanken nicht richtig dabei. Überhaupt war ich viel zu groß, um Olga Korbut zu sein. Etwas später drang das Surren eines Außenbordmotors zu mir. Ich hielt eine Hand über die Augen und blickte auf das schimmernde Wasser. Ein Speedboot schoss vorüber. Am Steuer stand Rex Reese. Mit nacktem Oberkörper, ein Bier in der Hand und eine Sonnenbrille auf der Nase, hielt er den Gashebel gedrückt, eine Wasserskifahrerin im Schlepp. Es war natürlich das Objekt in ihrem kleegrünen Bikini. Vor der Weite des Wassers wirkte sie beinahe nackt, nur die zwei schmalen Streifen, einer oben, einer unten, trennten sie von Eden. Ihre roten Haare flatterten wie eine Sturmwarnung. Sie fuhr nicht schön. Sie war zu weit vorgebeugt, stand o-beinig auf den Brettern. Doch sie fiel nicht. Rex schaute sich, sein Bier trinkend, immer wieder nach ihr um. Schließlich legte sich das Boot in eine scharfe Kurve, und das Objekt kreuzte, an der Küste entlangklatschend, das Kielwasser.
    Beim Wasserskifahren passiert etwas Schreckliches. Lässt man das Seil los, schlittert man noch ein wenig übers Wasser, frei. Aber irgendwann kommt unausweichlich der Augenblick, da die Geschwindigkeit einen nicht mehr vorwärts tragen kann. Dann bricht die Wasseroberfläche wie Glas. Die Tiefe öffnet sich, um einen zu verschlingen. So fühlte ich mich an Land, als das Objekt vorbeirauschte. Genau jenes hoffnungslose Sturzgefühl war es, jene Nervenphysik.
    Als ich zum Abendessen nach Hause kam, war das Objekt noch immer nicht da. Ihre Mutter war böse, fand es ungezogen von ihr, mich allein zu lassen. Auch Jerome war mit Freunden unterwegs. Also aß ich mit den Eltern des Objekts zu Abend. Mir war zu elend zumute, um die Erwachsenen wieder zu bezaubern. Stumm verzehrte ich das Essen und setzte mich anschließend ins Wohnzimmer, wo ich tat, als ob ich lesen würde. Die Uhr tickte und tickte. Die Nacht ächzte und knarrte. Als ich glaubte durchzudrehen, ging ich ins Bad und spritzte mir Wasser ins Gesicht. Ich hielt mir einen warmen Waschlappen auf die Augen und presste die Hände gegen die Schläfen. Ich fragte mich, was das Objekt und Rex wohl machten. Ich stellte mir ihre Socken in der Luft vor, ihre kleinen Tennissocken mit den Knubbeln an der Ferse, diesen blutroten, hüpfenden Knubbeln.
    Es war offensichtlich, dass Mr. und Mrs. Objekt nur aufblieben, um mir Gesellschaft zu leisten. Also sagte ich schließlich Gute Nacht und ging zu Bett. Kaum hatte ich mich hingelegt, fing ich an zu weinen. Ich weinte lange, darauf bedacht, keinen Laut von mir zu geben. Gekränkt flüsternd, schluchzte ich Sachen vor mich hin. »Warum magst du mich nicht?«, stieß ich hervor, und: »Es tut mir Leid, es tut mir ja so Leid!« Es war mir egal, wie es sich anhörte. In meinem Innern war ein

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