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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Gesicht gegen meins, gab Laute von sich. Ich ließ ihn gewähren, fühlte mich aus irgendeinem Grund dazu verpflichtet. Aber als seine alkoholisierten Aufmerksamkeiten begieriger, zielgerichteter wurden, stieß ich ihn von mir. Er protestierte nicht. Er krümmte sich zusammen und dämmerte rasch weg.
    Ich stand auf und ging ins Bad. Längere Zeit saß ich, meine Beine umklammernd, auf dem Klodeckel. Als ich hinausspähte, schlief Scheer noch immer. An der Tür war kein Schloss, aber ich wollte unbedingt duschen. Ich beeilte mich, ließ dabei den Vorhang offen und den Blick auf der Tür. Dann schlüpfte ich in ein frisches Hemd, zog den Anzug an und stahl mich aus dem Zimmer.
    Es war sehr früh. Auf der Straße war kein Verkehr. Ich entfernte mich vom Motel, setzte mich auf meinen Samsonite und wartete. Großer weiter Himmel. Darin ein paar Vögel. Ich hatte schon wieder Hunger. Der Kopf tat mir weh. Ich zog meine Geldbörse heraus und zählte mein schwindendes Geld. Zum hundertsten Mal überlegte ich, ob ich nicht zu Hause anrufen sollte. Ich fing an zu weinen, unterdrückte es aber. Dann hörte ich ein Auto kommen. Aus dem Motelparkplatz bog ein weißer Lincoln Continental. Ich hielt den Daumen raus. Der Wagen stoppte, die Scheibe surrte langsam hinab. Am Steuer saß der Mann aus dem Restaurant am Vorabend.
    »Wohin soll's denn gehen?«
    »Kalifornien.«
    Wieder dieses Lächeln. Als platzte etwas. »Na, das ist heute aber dein Glückstag. Da will ich auch hin.«
    Ich zögerte nur einen Augenblick. Dann öffnete ich die hintere Tür des großen Wagens und schob meinen Koffer hinein. In dem Augenblick hatte ich keine Wahl.

GESCHLECHTER-DYSPHORIE IN SAN FRANCISCO
    Er hieß Bob Presto. Er hatte weiche, weiße, fleischige Hände und ein feistes Gesicht, und er trug ein weißes, mit Goldfäden durchwirktes Guayabera-Hemd. Er bildete sich etwas auf seine Stimme ein, war viele Jahre Radiosprecher gewesen, bevor er in eine andere Branche gewechselt war. Worin seine neue Arbeit bestand, führte er nicht aus. Deren lukrative Natur offenbarte sich jedoch in dem weißen Continental mit roten Ledersitzen und in Prestos goldener Uhr, den edelstein besetzten Ringen und seiner Nachrichtensprecherfrisur. Trotz dieser Ich-bin-wer-Signale hatte Presto noch viel vom Muttersöhnchen an sich. Er hatte den Körper eines kleinen Dickerchens, wenngleich er fast neunzig Kilo wog. Er erinnerte mich an den Big Boy von der Restaurantkette Elias Brothers, nur dass er älter war und Erwachsenenlaster seine Züge derber gemacht und aufgequollen hatten.
    Das Gespräch begann wie üblich; Presto fragte mich aus, und ich tischte ihm meine Standardlügen auf.
    »Wohin in Kalifornien willst du denn?«
    »Ans College.«
    »Welches?«
    »Stanford.«
    »Ich bin beeindruckt. Ein Schwager von mir war mal in Stanford. Hohes Tier. Wo ist das nochmal?«
    »Stanford?«
    »Ja, welche Stadt?«
    »Hab ich vergessen.«
    »Vergessen? Ich dachte, Studenten aus Stanford haben Köpfchen. Wie willst du denn dahin kommen, wenn du nicht weißt, wo es ist?«
    »Ich treffe mich mit einem Freund. Der hat die ganzen Einzelheiten und so.«
    »Schön, wenn man Freunde hat«, sagte Presto. Er drehte sich mir zu und zwinkerte. Ich wusste nicht, wie ich das interpretieren sollte. Ich hielt den Mund und starrte geradeaus auf die Straße.
    Auf dem büfettartigen Sitz zwischen uns war viel Proviant, Limonadeflaschen und Tüten mit Chips und Keksen. Presto bot mir alles an. Mein Hunger war zu groß, als dass ich das hätte ablehnen können, und so nahm-ich mir ein paar Kekse und bemühte mich, sie nicht hinunterzuschlingen.
    »Kaum zu glauben«, sagte Presto, »je älter ich werde, desto jünger sehen die College-Studenten aus. Wenn du mich fragst, würde ich sagen, du gehst noch auf die Highschool. In welchem Semester bist du?«
    »Im ersten.«
    Wieder öffnete sich Prestos Gesicht zu seinem Zuckerapfelgrinsen. »Mann, wär ich bloß du. Die Zeit am College ist die beste im Leben. Ich hoffe, du bist bereit für all die Mädchen.«
    Ein Kichern begleitete das, dem ich ein eigenes hinzufügen musste. »Ich hatte am College viele Freundinnen, Cal«, sagte Presto. »Ich hab für den College-Sender gearbeitet. Da kriegte ich alle möglichen Platten kostenlos. Und wenn mir ein Mädchen gefiel, hab ich ihr Lieder gewidmet.« Er gab mir eine Kostprobe und sagte in leisem Singsang: »Das nächste ist für Jennifer, die Königin von Anthro 101. Ich würd dich gern mal ein bisschen unter die

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