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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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fast umgebracht.« Er hielt eine blaue Pille hoch. »Die da ist für die Leber. Ich hab auch eine, die das Blut verdünnt. Und eine gegen hohen Blutdruck. Mein Blut ist total am Arsch. Ich soll eigentlich nicht so viel essen.«
    In dieser Weise fuhren wir den ganzen Tag und erreichten am Abend San Francisco. Als ich die Stadt sah, rosa und weiß, eine auf Hügeln abgestellte Hochzeitstorte, packte mich wieder Angst. Den langen Weg quer durchs Land hatte ich mich darauf konzentriert, ans Ziel zu kommen. Nun war ich da und wusste nicht, was ich tun, wie ich mich über Wasser halten sollte.
    »Ich setz dich ab, wo du willst«, sagte Presto. »Hast du eine Adresse, wo du bleiben kannst, Cal? Bei deinem Freund?«
    »Ach, irgendwo einfach.«
    »Ich fahr dich ins Haight. Da kannst du erst mal die Lage peilen.« Wir fuhren in die Stadt, und schließlich hielt Bob Presto an, und ich öffnete die Tür.
    »Danke fürs Mitnehmen«, sagte ich.
    »Schon gut«, sagte Presto. Er hielt mir die Hand hin. »Und übrigens, es ist Palo Alto.«
    »Was?«
    »Stanford ist in Palo Alto. Das solltest du geregelt kriegen, wenn du willst, dass dir das mit dem College einer abnimmt.« Er wartete darauf, dass ich etwas erwiderte. Dann fragte Presto mit verblüffend sanfter Stimme, zweifellos ein Profitrick auch das, aber nicht ohne Wirkung: »Hör mal, hast du überhaupt eine Bleibe?«
    »Machen Sie sich um mich keine Sorgen.«
    »Kann ich dich mal was fragen, Cal? Was bist du eigentlich?« Ohne zu antworten, stieg ich aus und öffnete die Hintertür, um meinen Koffer herauszuholen. Presto drehte sich auf seinem Sitz um, für ihn ein schwieriges Manöver. Seine Stimme blieb weich, tief, väterlich. »Komm schon. Ich bin in dem Geschäft. Ich könnte dir helfen. Bist du 'ne Transe?«
    »Ich gehe jetzt.«
    »Nimm's mir nicht übel. Ich weiß alles über präoperativ und postoperativ und den ganzen Kram.«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.« Ich zog meinen Koffer vom Sitz.
    »He, nicht so schnell. Hier. Nimm wenigstens meine Nummer. So was Junges wie dich könnte ich gebrauchen. Egal, was du bist. Du brauchst doch Geld, oder? Wenn du eine Möglichkeit suchst, schnell gutes Geld zu verdienen, ruf deinen alten Freund Bob Presto an.«
    Ich nahm die Nummer, um ihn loszuwerden. Dann wandte ich mich ab und marschierte davon, als wüsste ich, wohin.
    »Sieh dich nachts im Park vor«, rief Presto mir mit seiner dröhnenden Stimme hinterher. »Da treibt sich viel Gesindel rum.«
    Meine Mutter sagte immer, die Nabelschnur, die sie mit ihren Kindern verbunden habe, sei nie vollständig durchschnitten worden. Sobald Dr. Philobosian den Fleischstrang durchtrennt habe, sei stattdessen eine andere, geistige Verbindung nachgewachsen. Kaum wurde ich vermisst, empfand Tessie diesen absonderlichen Gedanken als wahrer denn je. In den Nächten, als sie im Bett lag und daraufwartete, dass das Schlafmittel endlich wirkte, legte sie sich oft eine Hand auf den Nabel - wie ein Fischer, der die Angelschnur prüft. Dann meinte Tessie, etwas zu spüren. Feine Vibrationen erreichten sie. Mittels derer vermochte sie zu sagen, dass ich noch am Leben war, wenngleich weit fort und hungrig, und dass es mir möglicherweise nicht gut ging. Das alles drang über die unsichtbare Schnur als eine Art Gesang zu ihr, ein Gesang, wie Wale ihn von sich geben, wenn sie einander in der Tiefe zurufen.
    Nach meinem Verschwinden waren meine Eltern noch fast eine Woche im Hotel Lochmoor geblieben, immer darauf hoffend, ich könnte noch zurückkehren. Schließlich sagte ihnen der Inspektor von der New Yorker Polizei, der den Fall bearbeitete, das Beste sei wohl, sie führen wieder heim. »Ihre Tochter könnte anrufen. Oder dort auftauchen. Das machen Kinder meistens. Wenn wir sie finden, geben wir Ihnen Bescheid. Glauben Sie mir. Am besten gehen Sie jetzt nach Hause und bleiben in der Nähe des Telefons.« Widerstrebend befolgten meine Eltern diesen Rat.
    Bevor sie aufbrachen, hatten sie sich allerdings noch einen Termin bei Dr. Luce geben lassen. »Ein bisschen Wissen ist eine gefährliche Sache«, sagte Dr. Luce. »Vielleicht hat Callie ja einen Blick in ihre Akte geworfen, als ich mal kurz draußen war. Aber nicht verstanden, was sie da las.«
    »Aber weswegen sollte sie dann fortlaufen?«, fragte Tessie. Ihre Augen waren weit aufgerissen, beschwörend.
    »Sie hat die Tatsachen falsch gedeutet«, antwortete Luce.
    »Sie hat sie zu sehr vereinfacht.«
    »Ich will ehrlich zu Ihnen sein, Dr.

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