Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
Vom Netzwerk:
Lupe nehmen, Baby.«
    Presto senkte seinen hängebackigen Schädel, und seine Augenbrauen hoben sich in bescheidener Anerkennung seines Stimmtalents. »Ich möchte dir einen kleinen Rat zu Frauen geben, Cal. Die Stimme. Die Stimme macht Frauen ungeheuer an. Vergiss nie die Stimme.« Die Prestos war tief, dimorph maskulin. Das Fett seines Halses verstärkte ihre Resonanz noch, als er erklärte: »Meine Exfrau zum Beispiel. Als wir uns kennen lernten, brauchte ich nur irgendwas zu sagen, und schon wurde sie wild. Ich brauchte beim Ficken bloß ›englischer Muffin‹ zu sagen - und schon kam sie.«
    Als ich darauf keine Antwort gab, sagte Presto: »Ich hab dich doch nicht verletzt, oder? Du bist doch nicht etwa so ein Mormonenjunge, was? In dem Anzug da?«
    »Nein.«
    »Gut. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Lass deine Stimme nochmal hören«, sagte Presto. »Na komm, zeig, was du draufhast.«
    »Was soll ich denn sagen?«
    »Sag ›englischer Muffin‹.«
    »Englischer Muffin.«
    »Ich arbeite nicht mehr beim Rundfunk, Cal. Ich bin kein Profisprecher. Aber meiner Meinung nach bist du nicht DJ tauglich. Was du hast, ist ein dünner Tenor. Wenn du eine flachlegen willst, lernst du am besten singen.« Er lachte und griente mich an. Doch in seinen Augen lag keine Fröhlichkeit, sie waren kalt und musterten mich genau. Er lenkte einhändig, mit der anderen Hand aß er Kartoffelchips.
    »Trotzdem, deine Stimme hat irgendwas Ungewöhnliches. Schwer zu sagen, was.«
    Es schien das Beste, den Mund zu halten.
    »Wie alt bist du, Cal?«
    »Das habe ich Ihnen doch schon gesagt.«
    »Hast du nicht.«
    »Ich bin gerade achtzehn geworden.«
    »Was glaubst du, wie alt ich bin?«
    »Keine Ahnung. Sechzig?«
    »Du kannst gleich aussteigen. Sechzig! Ich bin zweiund fünfzig, Herrgott.«
    »Ich wollte eigentlich fünfzig sagen.«
    »Das machen die Pfunde.« Er schüttelte den Kopf. »Bevor ich dick geworden bin, hab ich jünger ausgesehen. Aber ein Handtuch wie du weiß davon natürlich nichts, wie? Ich hab dich erst für 'ne Mieze gehalten, als du da an der Straße gestanden hast. Der Anzug ist mir gar nicht aufgefallen. Hab nur deine Figur gesehen. Und hab gedacht, Mann, warum fährt denn die kleine Mieze da per Anhalter?«
    Jetzt konnte ich Prestos Blick nicht mehr erwidern. Ich bekam es erneut mit der Angst zu tun, fühlte mich alles andere als behaglich.
    »Und dann hab ich dich wieder erkannt. Ich hab dich schon mal gesehen. In dem Steakhaus. Du warst mit dem Warmen zusammen.« Er machte eine Pause. »Hab ihn erst für 'nen Kinderfreund gehalten. Bist du schwul, Cal?«
    »Was?«
    »Kannst es mir ruhig sagen. Ich bin nicht schwul, hab aber nichts dagegen.«
    »Ich möchte jetzt gern aussteigen. Könnten Sie mich rauslassen?«
    Presto lies das Lenkrad los und hielt die Hände senkrecht in die Luft. »Tut mir Leid. Ich entschuldige mich. Keine Daumen schrauben mehr. Ich halt ab jetzt den Mund.«
    »Lassen Sie mich einfach bloß raus.«
    »Na gut, wie du willst. Aber das ist doch Unsinn. Wir haben denselben Weg, Cal. Ich bring dich nach San Francisco.« Er bremste nicht ab, und ich bat ihn auch nicht mehr darum. Er hielt Wort und war von da an zumeist still, summte zum Radio vor sich hin. Jede Stunde machte er einen Boxenstopp, um sich zu erleichtern und weitere Familienflaschen Pepsi zu kaufen, weitere Schokokekse, weitere rote Lakritze und Maischips. Unterwegs tankte er dann nach. Er legte den Kopf beim Kauen in den Nacken, damit er sich das Hemd nicht voll krümelte. Limonaden gluckerten ihm durch den Hals. Unsere Unterhaltung beschränkte sich auf Allgemeines. Wir fuhren durch die Sierra, verließen Nevada und gelangten nach Kalifornien. In einem Drive-in aßen wir zu Mittag. Presto zahlte die Hamburger und Milchshakes, und ich kam zu der Ansicht, dass er in Ordnung, ja sogar ganz nett war und nichts Körperliches von mir wollte.
    »Zeit für meine Pillen«, sagte er, als wir mit dem Essen fertig waren. »Cal, kannst du mir mal meine Pillengläschen reichen? Die sind im Handschuhfach.«
    Es waren fünf oder sechs. Ich reichte sie Presto, und er versuchte mit schiefem Blick, die Etiketten zu lesen. »He«, sagte er, »lenk mal kurz.« Ich beugte mich hinüber, um ans Lenkrad zu langen, kam Bob Presto somit näher, als ich wollte, während er mit den Gläschen hantierte und sich seine Pillen herausschüttelte. »Meine Leber ist total am Arsch. Wegen dieser Hepatitis, die ich mir in Thailand geholt hab. Dieses Scheißland hat mich

Weitere Kostenlose Bücher