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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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ursprünglich in einem Kino in Oakland standen, das jetzt abgerissen ist.
    Mr. Go ist dreiundsiebzig Jahre alt. Jeden Morgen trinkt er, um sich seine Männlichkeit zu bewahren, einen mit Rhinozeroshorn versetzten Tee. Auch isst er die Gallenblase eines Bären, wenn er sie in der chinesischen Apotheke unweit seiner Wohnung bekommen kann. Diese Aphrodisiaka scheinen zu wirken. Mr. Go kommt fast jeden Abend ins Sixty- Niners. Den Mädchen, die auf seinem Schoß sitzen, erzählt er immer einen Witz. »Mr. Go steht auf go-go.« Das ist das einzige Mal, dass er lacht oder lächelt: wenn er ihnen diesen Witz erzählt.
    Ist es im Club nicht voll - voll ist es unten nur noch selten -, schenkt Flora Mr. Go ihre Gesellschaft manchmal über die Dauer von drei oder vier Songs. Für einen Dollar reitet sie ihn einen Song lang, dann bleibt sie noch für den einen oder anderen weiteren Song gratis auf ihm sitzen. Das ist in Mr. Gos Augen einer von Floras Vorzügen. Flora ist nicht jung, aber sie hat eine hübsche, reine Haut. Mr. Go spürt, dass sie gesund ist.
    Heute Abend jedoch rutscht Flora schon nach zwei Songs von Mr. Go herunter und grummelt: »Ich bin doch keine Kreditanstalt.« Sie stakst davon. Mr. Go erhebt sich, rückt sich die Hose zurecht, und da überfällt ihn erneut der Swimmingpoolgeruch, und seine Neugier obsiegt. Er schlurft aus dem Show Room und blickt die Treppe hinauf auf das bedruckte Plakat:

     
    Und nun hat Mr. Gos Neugier obsiegt. Er kauft sich ein Ticket und eine Hand voll Marken und stellt sich zu den anderen in die Schlange. Als der Türsteher ihn durchlässt, geht er die blinkende Treppe hinauf. Die Kabinen im ersten Stock haben keine Nummern, nur Leuchten zeigen an, welche besetzt sind. Er sieht eine leere, schließt die Tür hinter sich und steckt eine Marke in den Schlitz. Sogleich weicht die Sichtblende zur Seite und enthüllt ein Bullauge, das auf Unterwassertiefen blickt. Aus einem Lautsprecher an der Decke dringt Musik, und eine tiefe Stimme erzählt eine Geschichte:
    »Im alten Griechenland gab es einmal einen verwunschenen Teich. Dieser Teich war Salmakis geweiht, der Wassernymphe. Und eines Tages ging Hermaphroditos, ein bildschöner Knabe, dort schwimmen.« Die Stimme erzählt weiter, doch Mr. Go achtet nicht mehr darauf. Er schaut in den Teich, der blau ist und leer. Er fragt sich, wo die Mädchen sind. Er bedauert schon, sich eine Karte für Octopussy's Garden gekauft zu haben. Aber in dem Moment erhebt sich die Stimme:
    »Meine Damen und Herren, sehen Sie nun den Gott Herm aphroditos! Halb Frau, halb Mann!«
    Von oben spritzt es. Das Wasser im Teich wird weiß, dann pink. Nur Zentimeter von der anderen Seite des Bullaugenglases entfernt ist ein Körper, ein lebender Körper. Mr. Go schaut hin. Er kneift die Augen zusammen. Er presst das Gesicht an das Bullauge. Was er jetzt sieht, hat er noch nie gesehen. Nicht in all den Jahren, in denen er den Ball Room besucht hat. Er weiß nicht, ob ihm das, was er sieht, gefällt. Von dem Anblick wird ihm sonderbar zumute, benommen, gewichtlos, irgendwie wird er jünger. Plötzlich schließt sich die Blende. Ohne zu zögern, steckt Mr. Go noch eine Marke in den Schlitz.
    Das Sixty-Niners in San Francisco, Bob Prestos Club: Er war in North Beach, in Sichtweite der Wolkenkratzer im Zentrum. Das Viertel lebte, da waren italienische Cafes, Pizzerien und Oben- ohne-Bars. In North Beach gab es die schicken Stripp-Paläste wie das Carol Doda's mit der berühmten Büste auf der Leuchttafel. Koberer auf den Trottoirs lockten Passanten:
    »Meine Herren! Hereinspaziert in die Show! Schaun Sie nur herein! Ein Blick kostet nichts.« Während der Kerl vor dem nächsten Club brüllte: »Unsere Mädchen sind die besten, hier entlang bitte durch den Vorhang!« Und wieder ein anderer:
    »Live-Erotikshow, meine Herren! Zusätzlich können Sie in unserem Lokal das Footballspiel sehen!« Die Koberer waren allesamt schillernde Gestalten, verhinderte Dichter zumeist, die ihre Freizeit im City Lights Bookstore zubrachten, wo sie in New Directions-Taschenbüchern blätterten. Sie trugen gestreifte Hosen, grelle Krawatten, Koteletten, Ziegenbärte. Sie hatten etwas von Tom Waits, vielleicht war es auch umgekehrt. Wie Figuren von Mamet bevölkerten sie ein Amerika, das es nie gegeben hatte, eine Kinderphantasie von Neppern und Straßenhändlern und der Unterwelt.
    Es heißt: Nach San Francisco gehen junge Leute, um sich zurückzuziehen. Und auch wenn ein Abstieg in eine

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