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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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zwielichtige Unterwelt meiner Geschichte sicher Farbe verleihen würde, darf nicht unter den Tisch fallen, dass sich der North Beach Strip lediglich über ein paar Blocks erstreckt. Die Geographie von San Francisco ist zu schön, als dass die Zwielichtigkeit dort fester Fuß fassen könnte, und so waren neben den Anreißern auch viele Touristen auf den Beinen, Touristen mit Sauerteigbrotlaiben und Schokolade von Ghirardelli im Gepäck. Tagsüber sah man in den Parks Rollschuhläufer und Hackeysack-Spieler. Aber nachts wurde es dann doch noch ein wenig zwielichtig, und von neun Uhr abends bis drei Uhr morgens strömten die Männer ins Sixty-Niners.
    Wo ich, das dürfte inzwischen klar sein, nun arbeitete. Fünf Nächte die Woche, jeweils sechs Stunden, über die folgenden vier Monate hinweg - und glücklicherweise dann nie wieder -, verdiente ich dort meinen Lebensunterhalt, indem ich meine körperlichen Besonderheiten zur Schau stellte. Die Klinik hatte mich darauf vorbereitet, hatte mein Schamgefühl betäubt, darüber hinaus brauchte ich dringend Geld. Auch bot mir das Sixty-Niners einen idealen Rahmen. Ich arbeitete mit zwei anderen Mädchen: Carmen und Zora.
    Presto war ein Ausbeuter, ein Pornohund, ein Sexschwein, aber ich hätte es schlimmer treffen können. Ohne ihn hätte ich vielleicht nie zu mir gefunden. Nachdem er mich, verschrammt und misshandelt, im Park aufgelesen hatte, brachte Presto mich in seine Wohnung. Seine namibische Freundin Wilhelmina versorgte meine Wunden. Irgendwann wurde ich wieder ohnmächtig, worauf sie mich auszogen und ins Bett legten. Da erkannte Presto das Ausmaß seines Dusels.
    Ich erwachte immer wieder aus meiner Bewusstlosigkeit und bekam Fetzen ihrer Unterhaltung mit.
    »Ich hab's gewusst. Ich hab's gewusst, als ich ihn in dem Steakhaus gesehen hab.«
    »Gar nichts hast du gewusst, Bob. Du hast gedacht, er ist 'ne Umoperierte.«
    »Ich hab gleich gewusst, er ist 'ne Goldgrube.« Und später Wilhelmina: »Wie alt ist er?«
    »Achtzehn.«
    »Wie achtzehn sieht er aber nicht aus.«
    »Sagt er jedenfalls.«
    »Und du willst ihm das glauben, stimmt's, Bob? Du willst, dass er im Club arbeitet.«
    »Er hat doch mich angerufen. Also hab ich ihm ein Angebot gemacht.«
    Und noch später: »Warum rufst du nicht seine Eltern an, Bob?«
    »Der Junge ist von zu Hause ausgerissen. Er will seine Eltern nicht anrufen.«
    Octopussy's Garden hatte es schon vor mir gegeben. Presto war die Idee dazu ein halbes Jahr vorher gekommen. Carmen und Zora hatten als Ellie beziehungsweise Melanie von Anfang an dort gearbeitet. Doch Presto hielt weiterhin nach noch abartigeren Darstellern Ausschau, und er wusste, mit mir würde er der Konkurrenz auf dem Strip um eine Nasenlänge voraus sein. Etwas wie mich gab es sonst nicht.
    Das Bassin war nicht besonders groß. Nicht viel größer als ein überirdischer Swimmingpool in einem Garten. Fünf Meter lang, vielleicht drei breit. Wir stiegen auf einer Leiter in das warme Wasser. Aus den Kabinen blickte man direkt in das Bassin; es war unmöglich, das, was über der Oberfläche war, zu sehen. Wir konnten also bei der Arbeit den Kopf aus dem Wasser strecken und uns, wenn wir wollten, unterhalten. Solange wir von der Taille abwärts eingetaucht blieben, waren die Kunden zufrieden. »Die kommen nicht wegen deinem schönen Gesicht.« So hatte Presto es mir erklärt. Das machte es mir um einiges leichter. In einer normalen Peepshow hätte ich wohl nicht arbeiten können, Auge in Auge mit den Voyeuren. Ihre Blicke hätten mir die Seele aus dem Leib gesaugt. Aber wenn ich im Bassin unter Wasser war, hatte ich die Augen zu. Ich glitt durch Tiefseestille. Wenn ich mich gegen die Scheibe eines Bullauges drückte, hob ich das Gesicht aus dem Wasser und nahm so nichts von den Augen wahr, die meine Molluske betrachteten. Wie sagte ich vorher einmal? Die Meeresoberfläche ist ein Spiegel, der zwei verschiedene Wege der Evolution reflektiert. Oben die Geschöpfe der Luft, unten die des Wassers. Ein Planet mit zwei Welten. Die Kunden waren die Geschöpfe des Meeres; Zora, Carmen und ich blieben weitgehend Geschöpfe der Luft. Zora lag in ihrem Meerjungfrauenkostüm auf dem nassen Streifen Teppichboden und wartete darauf, weiterzumachen, wenn ich fertig war. Manchmal, während ich mich am Beckenrand festhielt, steckte sie mir einen Joint in den Mund, damit ich dabei rauchen konnte. Wenn meine zehn Minuten um waren, stieg ich auf den Teppich und trocknete mich ab. Über die Anlage

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