Middlesex
nicht hätte sein sollen, war ein dünner, brauner, übellaunig wirkender Aal, eine gefährdete Gattung, und wenn Ellie sich an der Scheibe rieb, wurde der Aal immer länger; er starrte die Kunden an mit seinem zyklopischen Auge, und sie wiederum schauten auf Ellies Brüste, ihre schmale Taille, und sie blickten hin und her von Ellie zum Aal, vom Aal zu Ellie, und waren von der Vermählung der Gegensätze elektrisiert.
Carmen war der präoperative Mann-zu-Frau-Transsexuelle. Sie kam aus der Bronx. Klein, zartgliedrig, legte sie stets Wert auf Eyeliner und Lippenstift. Immer machte sie Diät. Bier rührte sie nicht an, da sie einen Bauch fürchtete. Ich fand, dass sie das weibliche Getue übertrieb. In Carmens Luftraum gab es viel zu viel Hüftenschwingen und Haarezurückwerfen. Sie hatte ein hübsches Najadengesicht, oberflächlich ein Mädchen und dicht darunter ein Junge, der den Atem anhielt. Manchmal bekam sie von den Hormonen, die sie einnahm, einen Hautausschlag. Ihr Arzt (der sehr begehrte Dr. Mel aus San Bruno) musste unablässig ihre Dosis korrigieren. Das Einzige, was Carmen verriet, waren ihre Stimme, die trotz Östrogen und Progestin rau blieb, und ihre Hände. Aber den Männern fiel das nicht auf. Sie wollten schließlich, dass Carmen uneindeutig war. Denn nur das machte sie ja an.
Ihre Geschichte hatte sich auf traditionelleren Bahnen als meine bewegt. Schon von einem frühen Alter an hatte Carmen das Gefühl gehabt, im falschen Körper geboren worden zu sein. In der Umkleidekabine erzählte sie mir einmal mit ihrer South Bronx-Stimme: »Ich sag so: Wer hat mir diesen Schwanz angehängt? Ich hab keinen gewollt.« Noch aber war er da. Seinetwegen kamen die Männer. Zora, die einem analytischen Denken zuneigte, meinte, Carmens Verehrer seien von unterschwelliger Homosexualität angetrieben. Doch Carmen wollte davon nichts wissen. »Meine Freunde sind alle Heteros. Die wollen eine Frau.«
»Offenbar nicht«, sagte Zora.
»Sobald ich genug Geld gespart hab, lass ich mich unten richten. Dann wollen wir mal sehen. Dann bin ich mehr Frau als du, Z.«
»Soll mir recht sein«, antwortete Zora. »Ich will ja gar nichts Besonderes sein.«
Zora hatte eine Androgenresistenz. Ihr Körper war blind für männliche Hormone. Obwohl sie wie ich XY war, hatte sie sich weiblich entwickelt. Aber bei Zora war das Ergebnis viel besser als bei mir. Sie war nicht nur blond, sondern auch hübsch und hatte volle Lippen. Ihre ausgeprägten Wangenknochen teilten ihr Gesicht in arktische Flächen. Wenn Zora sprach, sah man, wie sich die Haut über diesen Wangenknochen spannte und zwischen Ober- und Unterkiefer höhlte, die straffe Todesfeenmaske, die von ihren blauen Augen durchstochen wurde. Und dann ihre Figur, der Milchmädchenbusen, der Rekordschwimmerbauch, die Beine einer Langstreckenläuferin oder Martha-Graham-Tänzerin. Selbst unbekleidet wirkte Zora vollkommen wie eine Frau. Es gab keinerlei sichtbare Anzeichen, dass sie weder Gebärmutter noch Eierstöcke besaß. Das Androgenresistenz-Syndrom schaffe die perfekte Frau, sagte Zora. Etliche Topmodels hätten es. »Wie viele Weiber sind schon eins achtzig groß, knochig und haben dicke Titten? Nicht viele. Für eine wie mich ist das normal.«
Schön oder nicht, Zora wollte keine Frau sein. Lieber betrachtete sie sich als Hermaphrodit. Sie war der erste, dem ich begegnet bin. Der erste Mensch, der war wie ich. Schon 1974 gebrauchte sie das Wort »intersexuell«, was damals selten war. Die Stonewall-Krawalle lagen erst fünf Jahre zurück. Die Schwulenbewegung formierte sich. Sie bereitete den Weg für all die Identitätskämpfe, die folgen sollten, einschließlich unserem. Die Intersex Society of North America wurde allerdings erst 1993 gegründet. Für mich ist Zora Khyber daher ein früher Pionier, eine Art Johannes der Täufer, eine Stimme in der Wildnis. Sicher, diese Wildnis war Amerika, ja der Globus selbst, aber im Speziellen war es der Redwood-Bungalow in Noe Valley, in dem Zora wohnte und mit ihr nun ich. Nachdem Bob Presto sich von den Details meiner Konstruktion überzeugt hatte, hatte er Zora angerufen und mich bei ihr einquartiert. Zora nahm Streuner wie mich häufig auf. Es war Teil ihrer Berufung. Der Nebel San Franciscos bot auch Hermaphroditen Schutz. Kein Wunder, dass die ISNA in San Francisco und nicht anderswo gegründet wurde. Es war eine unruhige Zeit, und Zora mischte überall mit. Bevor sich Bewegungen herausbilden, gibt es Energiezentren, und
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