Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
Vom Netzwerk:
zum Fluss, wo die Frachter anlegen, um das Erz zu entladen, und dort wird das Band zum Fluss, schlängelt sich zu den Wäldern im Norden, bis es bei der Quelle ankommt, der Erde nämlich, dem Kalkstein und Sandstein darin; und dann führt das Band wieder zurück, aus tiefen Erdschichten zum Fluss, zu den Frachtern und schließlich zu den Kränen, Schaufeln und Gießereien, wo es sich in geschmolzenen Stahl verwandelt und in Formen gegossen wird, zu Autoteilen abkühlt und aushärtet - den Zahnrädern, Antriebswellen und Benzintanks des Modells T des Jahres 1922. Wierzbicki bohrt ein Lager, Stephanides schleift ein Lager, O'Malley befestigt ein Lager an einer Nockenwelle. In verschiedenen Winkeln oberhalb von ihnen und hinter ihnen geben Arbeiter Sand in Gießformen oder schlagen Zapfen in Formen oder stellen Gießkästen in den Kuppelofen. Das Band ist nicht eines, sondern viele, es verzweigt und kreuzt sich. Andere Arbeiter stanzen Karosserieteile aus (fünfzig Sekunden), pressen sie (zweiundvierzig Sekunden) und schweißen die Teile aneinander (eine Minute und zehn Sekunden). Wierzbicki bohrt ein Lager, Stephanides schleift ein Lager, O'Malley befestigt ein Lager an einer Nockenwelle. Die Nockenwelle saust durch die Fabrik, bis ein Mann sie herunternimmt und am Motorblock befestigt, der mit seinen Ventilatorblättern, Röhren und Zündkerzen zunehmend exzentrisch wird. Und dann ist der Motor fertig. Ein Mann lässt ihn auf ein Fahrgestell herabsinken, das ihm entgegenrollt, während drei andere Arbeiter eine Karosserie aus dem Ofen ziehen. Der schwarze Lack ist zu einem Glanz gebacken, in dem sie ihr eigenes Gesicht sehen können, und flüchtig erkennen sie sich, bevor sie die Karosserie auf das Fahrgestell senken, das ihr entgegenrollt. Ein Mann springt auf den Fahrersitz (drei Sekunden), dreht den Anlasser (zwei Sekunden) und fährt das Automobil davon.
    Am Tag keine Worte, am Abend hunderte. Nach Betriebs schluss kam mein erschöpfter Großvater aus der Fabrik und stapfte zu einem Nebengebäude, in dem die Ford English School untergebracht war. Er setzte sich an ein Pult und schlug sein Lehrbuch auf. Ihm war, als bewege sich das Pult mit den 1,8 Stundenkilometern des Bandes vibrierend über den Boden. Er blickte auf das lateinische Alphabet, das als Fries an der Klassenzimmerwand entlanglief. Um ihn herum saßen in Reihen Männer über identischen Lehrbüchern. Die Haare steif von getrocknetem Schweiß, die Augen rot von Metallstaub, die Hände wund gerieben, sagten sie mit der Folgsamkeit von Chorknaben auf:
    »Arbeiter sollen zu Hause viel Seife und Wasser benutzen. Nichts ist dem richtigen Leben förderlicher als Sauberkeit. Nicht auf den Fußboden der Heimstatt spucken.
    Keine Fliegen ins Haus lassen.
    Die Fortgeschrittensten sind die Saubersten.«
    Manchmal setzte sich der Englischunterricht bei der Arbeit fort. Eine Woche nach einem Vortrag des Vorarbeiters über steigende Produktivität steigerte Lefty seine Arbeit und schliff ein Lager nicht mehr alle vierzehn, sondern alle zwölf Sekunden. Als er später von der Toilette zurückkam, entdeckte er an der Seite seiner Drehbank das Wort RATTE. Der Keilriemen war durchgeschnitten. Kaum hatte er in der Materialkiste einen neuen gefunden, ertönte ein Horn. Das Band war stehen geblieben.
    »Was ist denn los mit dir, verdammt?«, brüllte der Vorarbeiter ihn an. »Jedes Mal, wenn wir das Band anhalten, verlieren wir Geld. Wenn das nochmal vorkommt, fliegst du. Verstanden?«
    »Ja, Sir.«
    »Okay! Und weiter!«
    Und das Band lief wieder an. Als der Vorarbeiter gegangen war, sah O'Malley sich um, beugte sich zu ihm hin und flüsterte:
    »Versuch ja nicht, der Tempokönig zu werden. Verstehst du? Dann müssen wir andern auch schneller arbeiten.«
    Desdemona blieb zu Hause und kochte. Ohne Seidenraupen, die versorgt, ohne Maulbeerbäume, die abgeerntet werden mussten, ohne Nachbarn zum Schwatzen oder Ziegen, die zu melken waren, verbrachte meine Großmutter ihre Zeit mit der Zubereitung von Speisen. Während Lefty nonstop Lager schliff, schichtete Desdemona Pastitsio, Moussaka und Galacto boureko. Sie bestäubte den Küchentisch mit Mehl und rollte mit einem gebleichten Besenstiel papierdünne Teigfladen aus. Einer nach dem anderen verließen die Fladen ihr Fließband. Sie füllten die Küche. Sie lagen im Wohnzimmer, wo sie die Möbel mit Bettlaken verhängt hatte. Desdemona ging das Band auf und ab, gab Walnüsse, Butter, Honig, Spinat, Käse dazu, legte weitere

Weitere Kostenlose Bücher