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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Teigschichten darauf, zuletzt noch etwas Butter, bevor sie die montierten Gebilde im Ofen schmiedete. Im Rouge brachen die Arbeiter vor Hitze und Erschöpfung zusammen, meine Großmutter in der Hurlbut Street dagegen machte eine Doppelschicht. Sie stand morgens auf, um das Frühstück und ihrem Mann ein Lunchpaket zu richten, dann marinierte sie eine Lammkeule in Wein und Knoblauch. Nachmittags stellte sie ihre eigenen, mit Fenchel gewürzten Würste her und hängte sie über die Heizungsrohre im Keller. Um drei Uhr begann sie mit dem Abendessen, und erst wenn das garte, legte sie eine Pause ein und setzte sich an den Küchentisch, um ihr Traumbuch zu befragen über die Bedeutung ihrer Träume der vergangenen Nacht. Nicht weniger als drei Töpfe köchelten zu jeder Zeit auf dem Herd. Manchmal brachte Jimmy Zizmo einige Geschäftsfreunde mit nach Hause, massige Männer mit dicken, schinkenartigen Köpfen, die in Filzhüten steckten. Desdemona setzte ihnen, egal, wann es war, ein Essen vor. Dann gingen sie wieder, in die Stadt. Und Desdemona räumte auf.
    Das Einzige, was sie nicht tun wollte, war Einkaufen. Amerikanische Geschäfte verwirrten sie. Sie fand die Produkte deprimierend. Noch viele Jahre später spottete sie, wenn sie in unserer Vorstadtküche einen Mclntosh-Apfel von Kroger's sah:
    »Das ist doch nichts. Das haben wir an die Ziegen verfüttert.«
    Auf einen Markt zu gehen hieß, das Aroma der Pfirsiche, Feigen und Winterkastanien von Bursa zu vermissen. Schon in ihren ersten Monaten in Amerika litt Desdemona an dem »Heimweh, das unheilbar ist«. Also musste Lefty nach seiner Arbeit in der Fabrik und seinem Englischunterricht auch noch das Lamm und das Gemüse, die Gewürze und den Honig kaufen.
    Und so lebten sie... einen Monat... drei... fünf. Sie durchlitten ihren ersten Winter in Michigan. Eine Januarnacht, kurz nach ein Uhr morgens. Desdemona Stephanides schläft, auf dem Kopf ihren verhassten YWCA-Hut gegen den Wind, der durch die dünnen Wände pfeift. Im Kerzenschein beendet Lefty seine Hausaufgaben, Schreibheft auf den Knien, Bleistift in der Hand. Und von der Wand her: Rascheln. Er schaut auf, sieht ein Paar rote Augen aus einem Loch in der Fußleiste glimmen. Er schreibt R-A-T-T-E hin, bevor er den Stift nach dem Ungeziefer wirft. Desdemona schläft weiter. Er streicht ihr über die Haare. Er sagt auf Englisch: »Hello, sweetheart.« Das neue Land und dessen Sprache haben dazu beigetragen, die Vergangenheit ein bisschen weiter wegzuschieben. Die schlafende Gestalt neben ihm ist von Nacht zu Nacht weniger seine Schwester und mehr seine Frau. Die Verjährungsfrist verstreicht von selbst, Tag um Tag, jede Erinnerung an das Verbrechen wird weggespült. (Doch was die Menschen vergessen, bewahren die Zellen. Der Körper, dieser Elefant...)
    Der Frühling kam, 1923. In den Augen meines Großvaters, an die mannigfaltigen Konjugationen altgriechischer Verben gewöhnt, war Englisch, allen Ungereimtheiten zum Trotz, eine relativ einfach zu beherrschende Sprache. Sobald er eine ordentliche Portion des englischen Vokabulars verschlungen hatte, fing er an, die vertrauten Ingredienzien herauszu schmecken, die griechische Würze in den Wortstämmen, den Präfixen und den Suffixen. Für die Abschlussfeier der Ford English School war ein Festspiel geplant. Als einer der besten Schüler wurde Lefty gebeten, daran mitzuwirken.
    »Was für ein Festspiel?«, fragte Desdemona.
    »Das darf ich dir nicht sagen. Ist eine Überraschung. Aber du musst mir Kleider nähen.«
    »Was für welche?«
    »Wie aus der patrida.«
    Es war ein Mittwochabend. Lefty und Zizmo waren in der sah, als auf einmal Lina hereinkam, um sich »The Ronnie Ronnette Hour« anzuhören. Zizmo schaute sie missbilligend an, doch sie entwischte hinter ihre Kopfhörer.
    »Sie glaubt, sie ist jetzt eine dieser Amerikanides«, sagte Zizmo zu Lefty. »Da. Siehst du? Sie schlägt sogar die Beine übereinander.«
    »Ist eben Amerika«, sagte Lefty. »Wir sind jetzt alle Amerikanides.«
    »Das ist nicht Amerika«, konterte Zizmo. »Das ist mein Haus. Hier drin leben wir nicht wie diese Amerikanides. Deine Frau versteht das. Siehst du sie etwa in der sala, zeigt sie ihre Beine, hört sie Radio?«
    Jemand klopfte an die Tür. Zizmo, der eine unerklärliche Abneigung gegen unangekündigte Gäste hatte, sprang auf und griff unter seinen Mantel. Er bedeutete Lefty, sich nicht zu rühren. Lina, die etwas bemerkt hatte, nahm den Kopfhörer ab. Es klopfte wieder.

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