Middlesex
die Bahngleise sehen, die gewaltigen Silos am Flußufer, den gigantischen Gewürzkasten mit Kohle, Koks und Eisenerz und die Laufstege, die sich in der Luft wie riesige Spinnenbeine dehnten. Bevor er in die Tür gesogen wurde, erhaschte er noch den Blick auf einen Frachter und ein Stück des Flusses, den französische Forschungsreisende nach seiner rötlichen Farbe benannt hatten, lange bevor Abwässer ihn orange färbten oder er gar in Brand geriet.
Historische Tatsache: 1913 hörten die Menschen auf, Menschen zu sein. Es war das Jahr, in dem Henry Ford seine Autos auf Laufrollen bauen ließ und die Arbeiter sich der Geschwindigkeit des Fließbands anpassen mussten. Anfangs rebellierten die Arbeiter. Sie kündigten in Scharen, außerstande, ihren Körper an das Tempo der Zeit zu gewöhnen. Seitdem ist die Anpassung jedoch weitergegeben worden: Wir alle haben sie bis zu einem gewissen Maße ererbt, sodass wir uns Joysticks und Fernbedienungen, hunderterlei eintönigen Bewegungen reibungslos fügen.
Aber 1922 war es noch etwas Neues, eine Maschine zu sein. In der Fabrikhalle war mein Großvater nach siebzehn Minuten in seine Tätigkeit eingearbeitet. Ein Teil der Genialität der neuen Produktionsmethode bestand darin, dass Arbeit in Hilfs arbeiten zerstückelt wurde. So konnte man jeden einstellen, auch Ungelernte. Und jeden wieder feuern. Der Vorarbeiter zeigte Lefty, wie man ein Lager vom Fließband nahm, es an der Drehbank schliff und wieder zurücklegte. Mit einer Stoppuhr in der Hand maß er, wie lange der neue Arbeiter dafür brauchte. Dann nickte er einmal und führte Lefty zu seinem Platz am Band. Zu seiner Linken stand ein Mann namens Wierzbicki, zu seiner Rechten einer namens O'Malley. Einen Augenblick lang sind sie drei Männer, die gemeinsam warten. Dann ertönt die Pfeife.
Alle vierzehn Sekunden bohrt Wierzbicki ein Lager, schleift Stephanides ein Lager, befestigt O'Malley ein Lager an einer Nockenweile. Diese Nockenwelle fährt auf einem Fließband davon, schlängelt sich durch die Fabrik, durch deren Metallstaubwolken, durch deren Säurenebel, bis ein anderer Arbeiter fünfzig Meter weiter hinlangt und die Nockenwelle vom Band nimmt und an dem Motorblock befestigt (zwanzig Sekunden). Zur gleichen Zeit nehmen andere Männer Teile von benachbarten Fließbändern - den Vergaser, den Verteiler, den Ansaugkrümmer - und verbinden sie mit dem Motorblock. Über ihren gesenkten Köpfen hämmern riesige Spindeln mit dampfgetriebenen Fäusten. Keiner sagt ein Wort. Wierzbicki bohrt ein Lager, Stephanides schleift ein Lager, O'Malley befestigt ein Lager an einer Nockenwelle. Die Nockenwelle kreist durch die Halle, bis eine Hand hinlangt, sie herabnimmt und an einem Motorblock befestigt, der nun, mit Röhrengestrüpp und dem Gefieder der Ventilatorenblätter, zunehmend exzentrisch wird. Wierzbicki bohrt ein Lager, Stephanides schleift ein Lager, O'Malley befestigt ein Lager an einer Nockenwelle. Während andere Arbeiter den Luftfilter anschrauben (siebzehn Sekunden), den Anlassermotor daran befestigen (sechsundzwanzig Sekunden) und das Schwungrad anbringen. Wonach der Motor fertig ist und der letzte Mann ihn auf die Reise schickt...
Nur dass er nicht der letzte Mann ist. Unten sind noch andere Männer, die sich den Motor in dem Moment, wo ihm ein Fahrgestell entgegenrollt, schnappen. Diese Männer verbinden den Motor mit dem Getriebe (fünfundzwanzig Sekunden). Wierzbicki bohrt ein Lager, Stephanides schleift ein Lager, O'Malley befestigt ein Lager an einer Nockenwelle. Mein Großvater sieht nur das Lager vor sich, seine Hand nimmt es, schleift es und legt es wieder hin, während sich schon das nächste nähert. Das Band über seinem Kopf reicht zurück zu den Männern, die die Lager ausstanzen und die Schmelzöfen mit Blöcken beschicken; es reicht zurück zur Gießerei, wo die Neger, angetan mit Schutzbrillen gegen das infernalische Licht, die infernalische Hitze, arbeiten. Sie beschicken den Gebläseofen mit Eisenerz und gießen geschmolzenen Stahl aus Gießpfannen in Gussformen. Sie gießen genau im richtigen Tempo - zu schnell, und die Form explodiert, zu langsam, und der Stahl wird hart. Sie können nicht einmal innehalten, um sich die brennenden Metallstückchen vom Arm zu wischen. Manchmal macht es der Vorarbeiter, manchmal auch nicht. Die Gießerei ist das tiefste Innere des Rouge, sein geschmolzener Kern, aber das Band reicht noch weiter zurück. Es reicht bis zu den Kohle- und Koksbergen, reicht bis
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