Middlesex
Obwohl er gelernt hatte, ein flüssiges, etwas eigenwilliges Englisch zu sprechen, war seine schriftliche Beherrschung der Sprache doch bestenfalls mittelmäßig. Da er Frau und Kind versorgen musste, war nicht daran zu denken, dass er noch einmal eine Schulbank drückte. Trotz oder vielleicht auch wegen dieser Hindernisse hatte Lefty sich während der vierzigtägigen Trauerzeit im Wohnzimmer eine Arbeitsecke eingerichtet und war zu seinen gelehrten Aktivitäten zurückgekehrt. Hartnäckig und als reine Flucht verbrachte er Stunden damit, Homer und Mimnermos ins Englische zu übersetzen. Er benutzte wunderschöne, viel zu teure Mailänder Schreibhefte und schrieb mit einem Füllfederhalter und smaragdgrüner Tinte. Abends kamen andere junge Einwanderer mit geschmuggeltem Whiskey vorbei, und dann tranken sie und spielten Backgammon. Manchmal drang der vertraute süße Moschusgeruch unter der Tür hindurch bis an Desdemonas Nase.
Tagsüber zog Lefty, wenn er sich beengt fühlte, seinen neuen Filzhut tief in die Stirn und verließ das Haus, um nachzudenken. Er spazierte zum Waterworks Park und staunte, dass die Amerikaner, nur um Wasserfilter und Einlassventile unterzu bringen, einen solchen Palast gebaut hatten. Er ging an den Fluss und stand zwischen den aufgebockten Booten. Schäferhunde, auf vereisten Werften angekettet, knurrten ihn an. Er spähte in Ködergeschäfte, die den Winter über geschlossen hatten. Auf einem seiner Spaziergänge kam er an einem halb abgerissenen Wohnblock vorbei. Die Fassade war entfernt und gab die Innenräume wie bei einer Puppenstube frei. Lefty sah die hell gekachelten Küchen und Badezimmer in der Luft hängen, halb umschlossene Räume, deren kräftige Farben ihn an die Sultansgräber erinnerten, und da hatte er eine Idee.
Am nächsten Morgen stieg er in der Hurlbut Street in den Keller hinab und machte sich an die Arbeit. Er nahm Desdemonas gewürzte Würste von den Heizungsrohren. Er fegte die Spinnweben weg und legte einen Teppich auf den gestampften Boden. Er holte Jimmy Zizmos Zebrafell von oben und nagelte es an die Wand. Vor dem Spülbecken zimmerte er aus weggeworfenem Bauholz eine Bar und bedeckte sie mit aufgesammelten Kacheln: blauweiße Arabesken, neapolita nisches Schachbrett, rote heraldische Drachen und heimisches erdfarbenes Pewabic-Töpfergut. Als Tische stellte er Kabelrollen auf und breitete Tücher darüber. Unter die Zimmerdecke kamen Bettlaken, als Verkleidung für die Rohre. Bei den alten Bekannten aus seiner Rumschmuggelzeit mietete er einen Spielautomaten und bestellte einen Wochenvorrat Bier und Whiskey. Und an einem kalten Freitagabend im Februar 1924 war Eröffnung.
Der Zebra Room war eine Nachbarschaftskneipe mit unregelmäßigen Öffnungszeiten. Wenn Lefty geöffnet hatte, stellte er eine Ikone des heiligen Georg ins Wohnzimmer fenster, das zur Straße ging. Die Gäste liefen ums Haus und klopften einen bestimmten Code - einmal lang, zweimal kurz und noch zweimal lang - an die Kellertür. Dann stiegen sie aus einem Amerika der Fabriken und tyrannischen Vorarbeiter in eine arkadische Grotte des Vergessens hinab. Mein Großvater stellte das Victrola-Grammophon in die Ecke. Auf die Bar kamen Sesam-koulouria. Er grüßte die Leute mit dem Überschwang, den sie von einem Ausländer erwarteten, und flirtete mit den Damen. Hinter der Bar glomm ein Buntglasfenster aus Schnapsflaschen: das Blau des englischen Gins, das Tiefrot von Bordeaux und Madeira, das Gelbbraun von Scotch und Bourbon. Eine Hängelampe schwang an ihrer Kette, sprenkelte das Zebrafell mit Licht und gab den Kunden das Gefühl, noch betrunkener zu sein, als sie es waren. Gelegentlich stand einer von seinem Stuhl auf und zuckte fingerschnippend zu der seltsamen Musik, und seine Gefährten lachten.
In dieser Kellerkneipe erwarb mein Großvater die Attribute des Gastwirts, der er für den Rest seines Lebens sein sollte. Er bündelte seine geistigen Fähigkeiten auf die Wissenschaft der Mixologie. Er lernte, dem abendlichen Ansturm im Einmannkapellenstil zu begegnen, goss Whiskey mit der rechten Hand ein, während er mit der linken einen Bierkrug füllte, mit dem Ellbogen Untersetzer schob und mit dem Fuß die Fasspumpe betätigte. Vierzehn bis sechzehn Stunden täglich arbeitete er in dieser aufwendig geschmückten Untergrundka schemme und war in dieser Zeit unablässig auf den Beinen. Wenn er nicht gerade Getränke einschenkte, füllte er die koulouria-Schalen auf. Wenn er nicht ein neues
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