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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Bierfass hereinrollte, legte er hart gekochte Eier in ein Drahtkörbchen. Er hielt seinen Körper auf Trab, damit sein Verstand nicht nachdenken konnte: über die zunehmende Kälte seiner Frau oder die Art, wie ihr Verbrechen sie beide verfolgte. Lefty hatte davon geträumt, ein Kasino aufzumachen, und mit dem Zebra Room kam er dem am nächsten. Es gab kein Glücksspiel und auch keine Topfpalmen, aber es gab Rembetika und an vielen Abenden Haschisch. Erst 1958, als er hinter der Theke eines anderen Zebra Room hervorgetreten war, hatte mein Großvater die Muße, sich an seine Jugendträume von Rouletterädern zu erinnern. Dann versuchte er, die verlorene Zeit aufzuholen, aber ruinierte sich dabei und brachte seine Stimme in meinem Leben auf immer zum Verstummen.
    Desdemona und Sourmelina blieben oben und zogen die Kinder auf. Praktisch gesprochen bedeutete dies, dass Desdemona sie morgens aus dem Bett holte, sie fütterte, ihnen das Gesicht wusch und die Windeln wechselte, bevor sie sie zu Sourmelina brachte, die um diese Uhrzeit bereits Besucher empfing, nach den Gurkenscheiben riechend, die sie sich nachts auf die Lider legte. Beim Anblick Theodoras breitete Sourmelina die Arme aus und schnulzte »Chryso fili!« - riss Desdemona ihr Goldmädchen aus den Armen und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Den ganzen Vormittag trank Lina Kaffee und vertrieb sich die Zeit damit, der kleinen Theodora die Wimpern mit Kajal zu verzieren. Verbreiteten sich Düfte, gab sie das Baby mit den Worten »Da ist was passiert« zurück.
    Es war Sourmelinas fester Glaube, dass die Seele erst dann in den Körper eintrat, wenn das Kind zu sprechen anfing. Desdemona überließ sie die Sorge um Windelausschläge und Keuchhusten, Ohrenschmerzen und Nasenbluten. Kamen aber Gäste zum Sonntagsmahl, begrüßte Sourmelina sie mit dem aufs Feinste ausstaffierten Baby an der Schulter, dem perfekten Accessoire. Sourmelina konnte schlecht mit Babys, aber gut mit Teenagern. Bei erstem Verliebtsein und Liebeskummer, bei Fragen, was man auf einer Party anziehen solle, und auch bei Abstürzen in diffizile Zustände wie Anomie war sie zur Stelle. Daher wuchsen Milton und Theodora in jenen frühen Jahren nach Art der Stephanides' auf. So wie einst ein kelimi Bruder und Schwester getrennt hatte, trennte nun eine Wolldecke Cousin und Cousine. So wie einst ein doppelter Schatten einen Berghang hinaufgesprungen war, bewegte sich nun ein ähnlich verbundener Schatten über die hintere Veranda des Hauses in der Hurlbut Street.
    Sie wuchsen. Mit eins teilten sie das Badewasser. Mit zwei die Buntstifte. Mit drei saß Milton in einem Spielflugzeug, und Theodora drehte den Propeller. Doch die Fast Side von Detroit war kein kleines Bergdorf. Hier konnte man mit vielen Kindern spielen. Und so kündigte Milton, als er vier wurde, seiner Cousine die Kameradschaft auf und spielte lieber mit Nachbarjungen.
    Theodora war das egal. Inzwischen hatte sie eine Cousine zum Spielen.
    Desdemona hatte alles Erdenkliche getan, um ihr Versprechen, nie wieder ein Kind zu bekommen, einzuhalten. Sie stillte Milton, bis er drei war. Sie wehrte Leftys Annäherungsversuche weiterhin ab. Aber jeden Abend war das unmöglich. Es gab Momente, da geriet die Schuld, Lefty geheiratet zu haben, in Konflikt mit der Schuld, die sie empfand, weil sie ihn nicht zufrieden stellte. Es gab Momente, da erschienen ihr Leftys Bedürfnisse so verzweifelt, so bedauernswert, dass sie nicht anders konnte, als sich zu fügen. Und es gab Momente, da brauchte auch sie körperlichen Trost und Hingebung. Das geschah nie mehr als eine Hand voll Male im Jahr, in den Sommermonaten allerdings öfter. Zuweilen hatte Desdemona auf einer Namenstagfeier zu viel Wein getrunken, und dann geschah es auch. Und in einer heißen Nacht im Juli 1927 hatte es Folgen, eine Tochter: Zoe Helen Stephanides, meine Tante Zo.
    Von dem Augenblick an, als sie erfuhr, dass sie schwanger war, wurde meine Großmutter wieder von der Angst geplagt, das Kind werde einen gräßlichen Geburtsfehler haben. In der orthodoxen Kirche durften nicht einmal die Kinder von Paten heiraten, da es einem geistigen Inzest gleichkam. Aber was war das, verglichen mit dem hier? Das hier war viel schlimmer! Und so litt Desdemona Höllenqualen, konnte nachts nicht schlafen, während das Baby in ihr immer größer wurde. Dass sie der Panagia, der Allheiligen Jungfrau, versprochen hatte, nie wieder ein Kind zu bekommen, gab Desdemona nur desto größere Gewissheit, dass

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