Middlesex
lag Zoe', die erst vier war. Lefty, von der Arbeit erschöpft, betrachtete das Stillleben dieser Menagerie. Er liebte den Anblick seiner schlafenden Kinder. Trotz aller Eheprobleme, denn die konnte er nie auf seinen Sohn oder seine Tochter schieben. Dabei sah er sie sehr selten. Um genug Geld zu verdienen, musste er die Kneipe sechzehn, manchmal achtzehn Stunden täglich geöffnet halten. Er arbeitete sieben Tage die Woche. Damit er seine Familie ernähren konnte, musste er von ihr verbannt sein. Morgens, solange er noch oben im Haus war, begegneten ihm seine Kinder wie einem Verwandten, einem Onkel vielleicht, aber nicht wie einem Vater.
Und dann gab es da noch die Sache mit den Bardamen. Da er Tag und Nacht, in abgedunkelter Grotte, Getränke ausschenkte, hatte er viele Gelegenheiten, Frauen kennen zu lernen, die mit ihren Freundinnen oder gar allein ausgingen.
1932 war mein Großvater dreißig Jahre alt. Er hatte zugenommen, sich zum Mann entwickelt; er war charmant, freundlich, stets gut gekleidet - und körperlich noch immer in seiner Blüte. Seine Frau oben hatte zu viel Angst, um mit ihm zu schlafen, unten im Zebra Room dagegen warfen Frauen Lefty kühne, heiße Blicke zu. Als mein Großvater nun auf die drei schlafenden Gestalten im Bett hinabblickte, war in seinem Kopf all das zugleich: die Liebe zu seinen Kindern,' die Liebe zu seiner Frau, dazu die Enttäuschung über seine Ehe und ein kindisches, Junggesellenhaftes Erregtsein von den Damen an der Bar. Er ging mit dem Gesicht dicht an Zoe heran. Ihre Haare waren noch nass vom Baden und dufteten herrlich. Er genoss seine Vaterfreuden, blieb aber gleichzeitig für sich. Lefty wusste, dass alles das in seinem Kopf nicht zusammenpasste. Und nachdem er die schönen Gesichter seiner Kinder betrachtet hatte, hob er sie aus dem Bett und trug sie in ihr Zimmer. Dann legte er sich zu seiner schlafenden Frau ins Bett. Er streichelte sie zärtlich, fuhr ihr mit der Hand unters Nachthemd. Und plötzlich schlug Des-demona die Augen auf.
»Was tust du da!«
»Was glaubst du wohl?«
»Ich schlafe.«
»Ich wecke dich.«
»Schäm dich.« Meine Großmutter stieß ihn von sich. Und Lef ty trat den Rückzug an. Zornig drehte er sich von ihr weg. Es dauerte lange, bis er sprach.
»Nichts bekomme ich von dir. Die ganze Zeit arbeite ich und bekomme nichts.«
»Glaubst du etwa, ich arbeite nicht? Ich muss mich um zwei Kinder kümmern.«
»Wärst du eine normale Ehefrau, könnte es sich für mich lohnen, die ganze Zeit zu arbeiten.«
»Wärst du ein normaler Ehemann, würdest du mir bei den Kindern helfen.«
»Wie sollte ich dir denn helfen? Du hast ja gar keine Vorstellung, was für ein Aufwand es ist, in diesem Land Geld zu verdienen. Du glaubst wohl, ich habe da unten ein schönes Leben.«
»Du machst Musik, du trinkst. Ich kann die Musik bis in die Küche hören.«
»Das ist meine Arbeit. Deswegen kommen die Leute doch. Und wenn sie nicht kommen, können wir unsere Rechnungen nicht bezahlen. Alles hängt an mir. Und genau das verstehst du nicht. Ich arbeite den ganzen Tag und die ganze Nacht, und wenn ich dann ins Bett komme, kann ich nicht mal schlafen. Kein Platz!«
»Milton hatte einen Albtraum.«
»Ich habe tagtäglich einen Albtraum.«
Er knipste die Lampe an, und im Lichtschein sah Desdemona das Gesicht ihres Mannes von einer Bosheit verzerrt, die sie noch nie an ihm gesehen hatte. Das war nicht mehr Leftys Gesicht, nicht mehr das ihres Bruders oder ihres Mannes. Es war das Gesicht eines Neuen, eines Fremden, mit dem sie zusammenlebte.
Und dieses schreckliche Gesicht stellte ihr ein Ultimatum:
»Morgen früh«, fauchte Lefty, »suchst du dir eine Arbeit.«
Als Lina am nächsten Tag zum Mittagessen kam, bat Desdemona sie, in die Zeitung zu sehen.
»Wie soll ich denn arbeiten? Ich kann ja nicht mal Englisch.«
»Ein wenig schon.«
»Wir hätten nach Griechenland gehen sollen. In Griechenland würde ein Mann seine Frau nicht arbeiten schicken.«
»Nur keine Sorge«, sagte Lina und hielt das wieder aufbereitete Zeitungspapier hoch. »Es gibt sowieso nichts.« Die Anzeigen in der Detroit Times, die sich 1932 an vier Millionen Einwohner richteten, beliefen sich gerade mal auf eine Spalte. Sourmelina schaute mit zusammengekniffenen Augen nach etwas Passendem.
»Kellnerin«, las Lina.
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Da würden Männer mit mir schäkern.«
»Schäkerst du nicht gern?«
»Lies«, sagte Desdemona.
»Punzen und färben«, sagte
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