Middlesex
wohl keine Gedanken mehr zu machen.«
»Aber weißt du, wie? Gibt's da was?«
»Meine Mutter hat immer gesagt, solange man stillt, kann man nicht schwanger werden. Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber das hat sie gesagt.«
»Und danach, was dann?«
»Ganz einfach. Schlaf nicht mit deinem Mann.«
Gegenwärtig war das möglich. Seit der Geburt des Kindes hatten meine Großeltern in ihrem Liebesleben eine Pause eingelegt.
Desdemona war die halbe Nacht auf und stillte. Immer war sie erschöpft. Überdies war ihr bei der Entbindung der Damm gerissen und noch nicht ganz verheilt. Lefty war so aufmerksam, sich aller Annäherungen zu enthalten, aber nach dem zweiten Monat rutschte er im Bett immer häufiger zu ihr rüber. Desdemona hielt ihn auf Abstand, solange sie konnte.
»Es ist zu früh«, sagte sie. »Wir wollen doch nicht noch ein Kind.«
»Warum nicht? Milton braucht einen Bruder.«
»Du tust mir weh.«
»Ich bin ganz sanft. Komm.«
»Nein, bitte, nicht heute Abend.«
»Was? Wirst du jetzt wie Sourmelina? Einmal im Jahr ist genug?«
»Still. Du weckst das Baby.«
»Ist mir egal, ob ich das Baby wecke.«
»Brüll nicht so. Na gut. Komm schon her. Ich bin bereit.« Aber fünf Minuten später: »Was ist denn los?«
»Nichts.«
»Dass ich nicht lache. Das ist ja wie mit einer Statue.«
»Ach, Lefty!« Und sie brach in Tränen aus.
Lefty tröstete sie und entschuldigte sich, doch als er sich umdrehte, um einzuschlafen, fand er sich in die Einsamkeit des Vaterseins eingeschlossen. Nach der Geburt seines Sohnes erblickte Eleutherios Stephanides seine künftige und anhaltende Abwertung in den Augen seiner Frau, und als er das Gesicht im Kissen vergrub, verstand er die Klage aller Väter, die im eigenen Haus wie Untermieter lebten. Er empfand rasende Eifersucht auf seinen kleinen Sohn, dessen Schreie die einzigen Laute waren, die Desdemona zu hören schien, dessen winziger Körper mit endlosen Zuwendungen und Zärtlichkeiten bedacht wurde und der mit einer scheinbar göttlichen List, der eines Gottes, der die Gestalt eines Ferkels angenommen hatte, um an einer Frauenbrust zu saugen, seinen eigenen Vater aus Desdemonas Liebe verdrängt hatte. Im Laufe der folgenden Wochen und Monate beobachtete Lefty aus dem Sibirien seiner Bettseite, wie diese Mutter-Kind-Liebe erblühte. Er sah, wie seine Frau das Gesicht an das des Babys drückte und gurrende Geräusche machte; er staunte über ihren vollkommenen Mangel an Ekel vor den körperlichen Verrichtungen des Kindes, über die Zärtlichkeit, mit der sie das Gesäß des Babys reinigte und puderte, in Kreisbewegungen rieb und einmal sogar, zu Leftys Entsetzen, die winzigen Pobacken auseinander zog, um die Rosenknospe dazwischen mit Vaseline zu betupfen.
Von da an veränderte sich die Beziehung meiner Großeltern. Bis zu Miltons Geburt hatten sich Lefty und Desdemona einer für ihre Zeit ungewöhnlich engen und gleichberechtigten Ehe erfreut. Doch als Lefty sich ausgeschlossen fühlte, revanchierte er sich mit der Tradition. Er rief seine Frau nicht mehr koukla, was »Püppchen« bedeutet, sondern kyria, also »Madame«. Er führte im Haus wieder die Geschlechtertrennung ein, reservierte die sala seinen Gefährten und verbannte Desdemona in die Küche. Er fing an, Befehle zu geben. »Kyria, mein Essen.« Oder: »Kyria, bring die Getränke!« Dieses Verhalten entsprach ganz dem seiner Zeitgenossen, und nur einer fiel auf, dass etwas ungewöhnlich war - Sourmelina. Aber nicht einmal sie konnte die Ketten des Dorfs völlig abwerfen, denn wenn Lefty seine Freunde zu sich eingeladen hatte, um Zigarren zu rauchen und Kleftic-Lieder zu singen, zog sie sich in ihr Schlafzimmer zurück.
Eingesperrt in der Isolation des Vaterseins, konzentrierte sich Lefty Stephanides auf die Suche nach einer sichereren Einkommensquelle. Er schrieb an die Atlantis Publishing Company in New York und bot seine Dienste als Übersetzer an, erhielt darauf aber nur einen Brief, in dem man ihm für sein Interesse dankte, nebst einem Verlagsverzeichnis. Das gab er Desdemona, die sich ein neues Traumbuch bestellte. In seinem blauen protestantisehen Anzug stattete Lefty den Universitäten und Colleges in der Stadt persönliche Besuche ab, um sich nach der Möglichkeit zu erkundigen, Griechischlehrer zu werden. Doch es gab nur wenige Stellen, und alle waren sie besetzt. Mein Großvater besaß nicht den notwendigen Abschluss in klassischer Philologie; er war nicht einmal auf der Universität gewesen.
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