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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Vorhänge den Zugang zum großen Saal. Zwei junge Wachen standen davor. »Arbeiten Sie bei uns, müssen Sie ein paar Sachen wissen. Gehen Sie nie durch diese Vorhänge da, niemals. Dahinter ist der Haupttempel, wo Minister Fard seine Predigten hält. Sie bleiben hier im Frauenbereich. Am besten bedecken auch Sie sich die Haare. Ihr Hut lässt Ihre Ohren frei, ist eine Verlockung.«
    Instinktiv fasste sich Desdemona an die Ohren und drehte sich nach den Wachen um. Deren Gesichter waren ausdruckslos wie zuvor. Sie wandte sich wieder der Supreme Captain zu.
    »Jetzt zeig ich Ihnen den Betrieb«, sagte Schwester Wanda.
    »Wir haben alles. Aber wir brauchen ein bisschen, na ja, Fachwissen.« Sie ging die Treppe hinauf, und Desdemona folgte ihr.
    (Es ist eine lange Treppe, drei Stockwerke hoch, und Schwester Wanda hatte schlimme Knie, also wird es eine Weile dauern, bis sie oben ankommen. Lassen wir sie da hinaufsteigen, und ich erkläre Ihnen so lange, worauf sich meine Großmutter eingelassen hat.)
    »Irgendwann im Sommer 1930 tauchte ein liebenswürdiger, aber etwas rätselhafter Händler im Schwarzenghetto von Detroit auf.« (Ich zitiere aus C. Eric Lincolns The Black Muslims of America.) »Man hielt ihn für einen Araber, wenngleich seine rassische und nationale Identität unbelegt blieb. Er wurde von kulturhungrigen Afroamerikanern nach Hause eingeladen, die Seidengewänder und -waren erwerben wollten, Dinge, wie er behauptete, die von den schwarzen Menschen in ihrer Heimat jenseits des Meeres getragen würden... Seine Kunden waren so begierig darauf, von ihrer Vergangenheit und von dem Land zu hören, aus dem sie stammten, dass der Händler schon bald in den Häusern der ganzen Gemeinschaft Zusammenkünfte abhielt.
    Anfangs beschränkte der ›Prophet‹, als der er bekannt wurde, seine Lehren auf einen Vortrag über seine Erlebnisse in fremden Ländern, auf Warnungen vor gewissen Speisen und Vorschläge zur Verbesserung der körperlichen Gesundheit seiner Zuhörer. Er war nett, freundlich, bescheiden und geduldig.«
    »Nachdem er das Interesse seines Gastgebers geweckt hatte« (wir fahren nun fort mit An Original Man von Claude Andrew Clegg III), »machte sich [der Händler] sodann für die Geschichte und Zukunft der Afroamerikaner stark. Diese Taktik funktionierte gut, und schließlich verfeinerte er sie in einem Maße, dass die Zusammenkünfte neugieriger Schwarzer in Privathäusern abgehalten wurden. Später wurden öffentliche Säle für seine Reden angemietet, und so nahm inmitten des Not leidenden Detroit eine Organisationsstruktur für seine Nation of Islam Gestalt an.«
    Der Händler hatte viele Namen. Manchmal nannte er sich Mr. Farrad Mohammad oder Mr. F. Mohammad Ali. Dann wiederum bezeichnete er sich als Fred Dodd, Professor Ford, Wallace Ford, W. D. Ford, Wali Farrad, Wardell Fard oder W. D. Fard. Nicht weniger vielfältig war seine Herkunft. Manche behaupteten, er sei ein schwarzer Jamaikaner, dessen Vater ein syrischer Moslem gewesen sei. Ein Gerücht besagte, er sei ein Araber aus Palästina, der Rassenunruhen in Indien, Südafrika und London geschürt habe, bevor er nach Detroit gezogen sei. Auch ging die Rede, er sei der Sohn reicher Eltern vom Stamm der Koreish, dem Stamm des Propheten Muhammad, wohingegen Fard Unterlagen des FBI zufolge entweder in Neuseeland oder Portland, Oregon, geboren worden war und entweder hawaiianische oder britische und po lynesische Eltern hatte.
    Eines aber ist klar: 1932 hatte Fard in Detroit den Tempel Nr. 1 begründet. Und in diesem Tempel stieg Desdemona nun die Hintertreppe hinauf.
    »Wir verkaufen die Seide gleich hier im Tempel«, erklärte Schwester Wanda weiter oben. »Machen die Kleidungsstücke nach den Entwürfen Minister Fards. Nach Kleidungsstücken, die unsere Vorfahren in Afrika getragen haben. Früher haben wir einfach den Stoff bestellt und die Sachen genäht. Aber während der Depression sind Stoffe immer schwieriger zu kriegen. Und da hat Minister Fard eine seiner Offenbarungen gehabt. Kommt eines Morgens zu mir und sagt: ›Wir müssen über die Mittel und Wege der Seidenraupenzucht selbst verfügen.‹ So spricht er. Redegewandt? Der könnte einen Hund von einem Fleischlaster runterquatschen.«
    Auf der Treppe fügte sich für Desdemona allmählich alles zusammen. Die feinen Anzüge der Männer draußen. Die Umgestaltung drinnen. Schwester Wanda langte oben an - »da drin ist unsere Ausbildungsklasse« - und stieß die Tür auf. Desdemona nahm

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